Big Brother in Schleswig-Holstein

Polizei speichert Millionen Kommunikationsdaten

  • Olaf Harning
  • Lesedauer: 3 Min.
Wer speichert wie lange und wozu die Daten aus der Überwachung von Handys in Schleswig-Holstein? Das wollte die Piratenfraktion im Kieler Landtag mit einer Anfrage an die rot-grüne Landesregierung herausfinden. Das Ergebnis empört nicht nur die Piraten, am Mittwoch kommt das Thema in den Landtag.

Seit 2009 wurden bei »Funkzellenabfragen« der Polizei in Schleswig-Holstein millionenfach Handys geortet, das ergab jetzt eine Anfrage der Piratenpartei. Ein Großteil der dabei gewonnenen Daten wird dauerhaft gespeichert – in vielen Fällen auch, wenn die jeweiligen Ermittlungsverfahren längst eingestellt sind. Bei Funkzellenabfragen werden sämtliche Telekommunikationsverbindungsdaten, die in einem zuvor festgelegten, räumlich abgegrenzten Bereich anfallen, erfasst. Voraussetzungen für diese Form der verdeckten Ermittlung sind eine richterliche Anordnung, die Verfolgung einer schweren Straftat und die Untauglichkeit weniger brachialer Ermittlungsmethoden.

Nur 36 Verurteilungen

Umfang und Erfolg der jetzt bekannt gewordenen Maßnahmen in Schleswig-Holstein legen jedoch den Verdacht nahe, dass die Behörden dabei jedes Maß verloren haben. Insgesamt 850 Abfragen wurden seit 2009 in die Wege geleitet, dabei nach Schätzungen der Piratenpartei bis zu sieben Millionen Handys geortet. Begründet wird die umfangreiche Erfassung mit dem Versuch von Polizei und Staatsanwaltschaft, die »Verkehrsdaten« verschiedener Tatorte und Tatzeiten auf Übereinstimmungen abzugleichen. Auf diese Weise sollen »Straftatenserien« aufgeklärt oder überhaupt als solche erkannt werden.

Nach den Zahlen der Landesregierung gelingt genau dies aber nur in den wenigsten Fällen: Gerade einmal 36 Verurteilungen sind unmittelbar auf die »nicht individualisierten Funkzellenabfragen« zurückzuführen, in 111 Fällen brachten sie lediglich neue Ermittlungsansätze. Und noch etwas fällt auf: Die vier Staatsanwaltschaften in Schleswig-Holstein wenden das Instrument in höchst unterschiedlichem Ausmaß an. So wurden im Raum Flensburg gerade einmal 16 Abfragen initiiert, die Kieler Staatsanwaltschaft hingegen machte einundzwanzig Mal häufiger Gebrauch von der Methode – hier wurden im gleichen Zeitraum 336 Abfragen getätigt.

Die dabei gewonnenen Daten werden im Regelfall dauerhaft gespeichert: So wurden seit 2009 lediglich Datensätze aus 122 »Vorgängen« wieder gelöscht – während 184 bis heute »in Bearbeitung« sind. Dabei bleiben offenbar auch Daten aus Verfahren gespeichert, bei denen die Ermittlungen lange abgeschlossen sind. Patrick Breyer, Mitglied der Piratenfraktion, ist fassungslos. Der in Sachen Vorratsdatenspeicherung promovierte Jurist sieht insbesondere in der langen Aufbewahrung der Verbindungsdaten einen klaren Rechtsbruch.

Auch Barbara Körffer hat mit dieser Speicherwut Probleme: Die zuständige Referentin am Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz kündigte gegenüber »nd« an, die Rechtmäßigkeit der Datenerhebung, insbesondere aber die Verhältnismäßigkeit der weiteren Speicherung zu prüfen. »Da sind ungefähr 120 Verfahren, die abgeschlossen sind, bei denen die Daten aber trotzdem noch aufbewahrt werden, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie wieder aufgenommen werden«, so Körffer. »Das macht uns schon etwas Sorgen.«

Dissens in der Koalition

Marit Hansen, stellvertretende Datenschutzbeauftragte Schleswig-Holsteins, will sich daneben auch mit der Frage befassen, ob nicht eigentlich sämtliche Besitzer polizeilich erfasster Handys über die Maßnahme informiert werden müssten. Das werde zwar bisweilen als weltfremd abgetan, so Hansen, »aber ich halte das überhaupt nicht für weltfremd.«

In der rot-grünen Regierungskoalition bahnt sich derweil ein Dissens über Art und Umfang der Funkzellenabfragen an. Während sich Grünen-Fraktionschefin Eka von Kalben vom Ausmaß des Datensammelns »überrascht« zeigte und eine vernünftige »Balance« zwischen Sicherheitsbedürfnissen und dem Recht auf Datenschutz anmahnte, sah Innenminister Andreas Breitner (SPD) keinerlei Handlungsbedarf. Gegenüber dem NDR sagte er, die Abfragen seien von der Staatsanwaltschaft beantragt und gerichtlich genehmigt: »Mehr rechtsstaatliche Sicherung geht nicht.« Es wird also spannend, wenn die Piratenpartei das Thema am Mittwoch in den Landtag einbringt, weitere Aufklärung und ein Ende der »Massendurchleuchtung« fordert.

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