Herkulesaufgabe Tempelhof

Projekt GmbH informierte über die Zukunft des Flughafengebäudes

  • Judith Rakowski
  • Lesedauer: 3 Min.

Das letzte Flugzeug drehte im Oktober 2008 seine Runde, seither ist der Tempelhofer Flughafen stillgelegt. Fast 90 Jahre war er in Betrieb. Als einer der ersten Verkehrsflughäfen Deutschlands wurde 1923 der Linienverkehr aufgenommen. 20 Jahre später entwarf Architekt Ernst Sagebiel nach Vorstellungen der Faschisten den heutigen Neubau. Innerhalb von viereinhalb Jahren entstand das größte zusammenhängende Flughafengebäude der Welt. Der 1,2 Kilometer lange Hallenbogen ist für sechs Millionen Passagiere pro Jahr ausgelegt, auf den Dachtribünen sollten bis zu 80 000 Zuschauer Platz finden. 1941 musste der Bau auf Grund von Materialmangel eingestellt werden. Die Aufnahme des nie fertig gestellten Gebäudes in das UNESCO-Kulturerbe ist seit Jahren im Gespräch.

Einblick in Zustand, Sanierung und Nutzung konnten sich Interessierte am Sonnabend verschaffen. Besucher wurden durch Teile des Komplexes geführt und konnten anschließend einer Expertendiskussion beiwohnen.

Die Haupthalle wirkt wie neu, die verblendete Natursteinfassade spiegelt, Schilder weisen die Schalter der jeweiligen Fluggesellschaft aus. Man könnte meinen, es sei kurz vor Öffnung, gleich müssten Menschen hineinströmen, den hohen Raum mit Geräuschen von Rollkoffern und Vorfreude auf die Reise füllen. Näher gekommen sieht man, dass es keine Schalter mehr hinter den Glaswänden gibt. Statt Passagieren stehen Informationstafeln herum. In den angrenzenden Bereichen und im zweiten Stock finden sich vereinsamte, unbenutzte Cafeterien, neben Besuchern und Sicherheitspersonal fehlt scheinbar jedes Leben.

Doch dieser Eindruck täuscht. Das Gebäude ist weder ungenutzt noch eine »Bauruine, auch wenn es an wenigen Stellen reinregnet«, will Marc Eschelbach klarstellen, der eine Gruppe durch das Gebäude führt. Inzwischen werden 70 000 Quadratmeter der 300 000 Quadratmeter umfassenden Gewerbefläche von über 100 einzelnen Mietern genutzt. Auf 70 Prozent der Fläche hat sich der Berliner Polizeipräsident mit Landeskriminalamt und Notrufzentrale einquartiert. Daneben finden sich etwa die Verkehrsleitzentrale, ein Kindergarten, eine Tanzschule im ehemaligen Unteroffiziersclub und die Deutsche Flugsicherung. Es gibt Proberäume für Bands, derzeit zieht die Sigmund-Freund-Privatuniversität ein, um ab Oktober Psychologie zu lehren.

Auf die Neuzugänge der letzten zwei Jahre ist man besonders stolz: Das Internationale Designerzentrum, der Online-Spieleentwickler Ludic Philosophy und die Digitalagentur Exozet. Gerade in diesem Bereich gebe es viele Nutzungsmöglichkeiten, meint Jürgen Schepers, Branchenkoordinator der Industrie- und Handelskammer. »Kreativ- und Digitalwirtschaft boomen jetzt. Wenn einige Vorkehrungen getroffen werden, wird das Interesse nicht ausbleiben«, erklärt er. Unter »Vorkehrungen« fallen etwa eine gute Verkehrsanbindung und Cafés in denen man sich trifft und austauscht, vielleicht sogar ein Club.

Mindestens genauso großes Interesse zeigt die Tourismusbranche, die dem Komplex ein hohes Potenzial bescheinigt. Großveranstaltungen wie die Modemesse Bread&Butter und die Konzerte der Toten Hosen und der Ärzte sorgten für Aufmerksamkeit. Gerhard Steindorf, Geschäftsführer der Tempelhof Projekt GmbH, die 2010 vom Berliner Abgeordnetenhaus gegründet wurde, nennt als Ziel die Entwicklung des Ensembles. Der Park untersteht allerdings der Grün Berlin GmbH.

Dem alten Flughafen eine neue Funktion zu geben, das ist eine Herkulesaufgabe. Größte Herausforderung ist es, die Modernisierung unter Beachtung des Denkmalschutzes mit dem vorhandenen Geld zu realisieren. Dach und Heizungsanlage müssen genauso instand gesetzt werden wie die 9000 Räume, für die allein 141 Millionen Euro nötig sind, wie Steinberg erläutert. Der Schwerpunkt liegt jetzt bei der Dachsanierung. Auf der Fläche von zehn Fußballfeldern könnte die größte Solaranlage Berlins entstehen, außerdem wären ein Rundweg und ein Café denkbar. Weitere Projekte sind die umstrittene Konstruktion eines Regenrückhaltebeckens und die Wiederbelebung des Vorplatzes. Steindorfs Vision für 2030 sieht ein lebendiges Gebäude vor, das »keine Hypothek mehr hat, eine Bühne des Neuen und ein Inspirator für die ganze Stadt ist«.

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