Leere und Chance

Auf der Burg Klempenow in Mecklenburg-Vorpommern startet am Freitag das Festival »Der NEUE HEIMAT film«

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 4 Min.
Nahe der berühmt-berüchtigten »Ferkelfabrik« von Alt Tellin in Mecklenburg-Vorpommern findet seit einigen Jahren jährlich ein kleines Dokumentarfilmfestival statt. Am Wochenende ist es wieder so weit: 27 Filme, oft mit Diskussionsrunden, warten auf Publikum.

Burg Klempenow an der Tollense liegt mittendrin im Nirgendwo. Nach Norden zur vorpommerschen Küste oder nach Osten zum Stettiner Haff ist es etwas zu weit, als dass die hier gelegenen Nester vom Boom profitieren könnten. Und auch in südlicher Richtung dauert es eine Weile, bis das Irgendwo mit Neubrandenburg und den ersten Ausläufern der Seenplatte wieder beginnt. Es ist daher kein Zufall, dass das Tollensetal - wenn überhaupt - eher für Jammertal-Nachrichten bekannt ist. Zum Beispiel für »Europas größte Ferkelfabrik«, die nahe des dortigen Weilers Alt Tellin in Betrieb gegangen ist und die es ob ihrer wahnwitzigen Dimensionen schon in den einen oder anderen Wahlkampf geschafft hat.

Aus der Lücke heraus

Dennoch lohnt es, zu der Burg, die von der Autobahn 20 Richtung Küste nahe der Abfahrt Altentreptow linker Hand zu sehen ist, einen Abstecher zu unternehmen. Das gilt schon für den Normalbetrieb, wenn es dort einen Kanuverleih gibt, ein uriges Schlosscafé und einen begehbaren Bergfried wie aus einem Bubentraum. Erst recht aber lohnt es sich jährlich im späten August: Dann findet seit einigen Jahren auf der Burg ein mittlerweile nicht mehr ganz so kleines Filmfestival statt, das sich dem »neuen Heimatfilm« verschrieben hat. Es versucht, aus seiner sozialgeografischen Lückenposition heraus Perspektiven von lokalem Engagement zu zeigen und Lebensfreude gerade dort zu kultivieren, wo das Leben bloß vorbeizurasen scheint.

Am kommenden Wochenende ist es wieder soweit. 27 meist dokumentarische Filme und ein Kurzfilmwettbewerb sind zu erleben, man kann zelten, paddeln, Musik am Lagerfeuer hören, zumindest in einigen Fällen gibt es auch Gesprächsrunden mit Autoren und Protagonisten. Das Heimatfilm-Team Undine Spillner, Christian Herfurth, Kerstin Baarmann und Lothar Oertel hat auch in diesem Jahr ein Programm zusammengestellt, das für Entschleunigung sorgen, zum Nachdenken anregen und Anlass geben soll, Perspektiven einer »Politik des Kleinen« zu eruieren.

Einer der Höhepunkte in diesem Sinn ist der Dokumentarfilm »Wir könnten auch anders«, mit dem am kommenden Freitag um 19 Uhr das Festival eröffnet wird. Der 2012 beendete Film von Daniel Kunle und Holger Lauinger widmet sich dem, was in einer Gegend wie dem Tollensetal Alltagsfrage ist: Ist gutes Leben untrennbar mit »Wachstum« verbunden? Lassen sich auch in schrumpfenden Gesellschaften wirkliche Chancen erarbeiten? Wie könnten solche Perspektiven aussehen? Darüber kann nach dem Film mit den Autoren diskutiert werden - und mit der Protagonistin Susanne Wiest aus Greifswald, die vor einigen Jahren bundesweit bekannt wurde, nachdem sie eine überaus erfolgreiche Online-Petition für ein bedingungsloses Grundeinkommen gestartet hatte.

Das Umfeld der Festivalmacher - zu dem lokale Bürgerinitiativen gegen die erwähnte Ferkelfabrik zu zählen sind - spiegelt sich im samstäglichen Hauptfilm »Voices of Transition«. Mit breitem internationalen Fokus, aber dem Blick immer auf dem Lokalen und Kleinen, zeigt der 2011 abgeschlossene Film von Nils Aguilar Beispiele eines nicht-industriellen, alternativen ländlichen Lebens und Produzierens aus England, Frankreich und Kuba. Auch zu diesem Film gibt es ab etwa 20.30 Uhr eine Gesprächsrunde.

Am Sonntag gehört der Spielfilm »Weil ich schöner bin« von Frieder Schleich zu den Höhepunkten: Ein junges Mädchen namens Charo lebt in der bundesdeutschen Illegalität und muss dies sogar ihrer besten Freundin verheimlichen. Zudem ist am Sonntag das Projekt »Klappe gegen Rechts« zu Gast, ein Filmideen-Wettbewerb zur Abwendung des ländlich-braunen Übels im Nordosten.

Das Venedig-Prinzip

Außerdem empfehlen die Festivalmacher für den Sonntag den Film »Das Venedig-Prinzip« von Andreas Pichler. Das ist ein liebevolles Porträt der versinkenden Lagunenstadt, die längst zu einer entvölkerten potemkinschen Kulisse der »Kulturwelt« geworden ist - und sich mithin durchaus komplementär zu Klempenow im Tollensetal verhält: zwei Schattierungen von Leere und Chance.

Filmfest »Der NEUE HEIMAT film«, 24. bis 26. August 2013, Burg Klempenow. Eintritt: Einzelfilm 6 bzw. 5 Euro, Tageskarten 14 bzw. 12 Euro. Das Festival-Gesamtpaket kostet 25 bzw. 20 Euro. Informationen unter: derneueheimatfilm.de, Telefon: 03965/211331, e-Mail: kontakt@derneueheimatfilm.de

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