Geräucherter Schafskopf und Kaiserstuhl am Fjord
Norwegen: Grandiose Einmaligkeit macht letztendlich selbst den teuren Westküstenurlaub preiswert - zumindest gefühlt
Die Beduinen, wird gesagt, kennen 33 Ausdrücke für Sandvarianten und die Amazonasindianer ebenso viele für grüne Farbnuancen. Die Norweger, heißt es, kennen 33 Ausdrücke für Regen und drei für trockenes Wetter.
Das klingt nicht gerade anheimelnd. Und es sei auch gleich hinzugefügt, dass man dort aus deutscher Eurosicht sogar noch teurer einkaufen muss als in der Schweiz. Dennoch kann Norwegenurlaub preiswert sei. Denn dass, was man sieht und schmeckt, riecht und fühlt, erfährt und auch erahnt, erlebt man so eben nirgends woanders. Und das ist in Norwegen eben allemal seinen Preis wert. Zumindest für den, der Einmaligkeit und Unverwechselbares mag und sich auch leisten kann. Selbst wenn der Liter Superbenzin momentan 16,50 Kronen, also über zwei Euro kostet und ein Fischbrötchen fünf. Dies wohlgemerkt, obwohl Norwegen in Europa mit Abstand sowohl Erdöl-, als auch Fischwirtschaftsland Nummer eins ist.
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Wenn das Magazin National Geographic Norwegen unlängst als das Reiseziel einrangiert, das heute weltweit »am meisten Kult ist«, meint das vor allem das westnorwegische Küstenland: Fjorde und Berge, Wasserfälle und Gletscher, Kulturlandschaft mit lebendigen Dörfern und Städten. Von all dem gibt es alles weit verstreut auf den 20 000 Kilometern Gesamtküstenlänge. Mitunter hat man aber auch alles dicht bei dicht, also quasi Norwegen in der Nussschale. Beispielsweise zwischen der Stadt Bergen und dem rund 100 Kilometer weiter nördlich liegenden Sognje, dem gewaltigsten Fjord Europas überhaupt, 200 Kilometer lang und bis zu 1400 Meter tief. »Ein Erlebnis ist mehr als 1000 Bilder«, lockt Britt Dalland, Direktorin bei der Tourismusorganisation Fjord Norge.
Bergen, alte Hansemetropole (ab 1250) und heute moderne Industrie- und Hafenstadt, erkundet man erst einmal aus der Draufsicht sehr schön vom Floyen aus, dem sanften Stadtberg. Weiter Blick auf die sich an den Hängen des Byfjords hinziehenden Bergener Stadtquartiere. Der lockeren, mit der Landschaft harmonierenden Bebauung sieht man die 400 000 Einwohner nicht an. Direkt zu Füßen Bergens Hafen. Von hier aus wird das westlich weit hinterm Horizont in der Nordsee liegende Öl- und Gasfeld Ekofisk unterhalten. Mit ihm begann 1969 die steile Petrolkarriere des Landes, das die Norweger zur reichsten europäischen Nation machte. Allein die nationale Sozial- und Rentenkassenreserve wird pro Kopf der fünf Millionen Einwohner auf eine Million Euro geschätzt.
Bergen ist im Mittelalter durch Fisch groß geworden, und auch heute gibt es noch über 1000 Fischverarbeitungsbetriebe, erzählt Marianne Johnsen, Managerin beim Bergener Stadtmarketing. »Wir sind nicht nur das Eingangstor zu Fjord-Norwegen, sondern auch die Fischhauptstadt des Landes.« Eine Überfülle von Kostproben wird an den Ständen am Alten Hafen angeboten. Nicht weit davon liegt das Kunst- und Museumsviertel Tyskenbryggen (Deutscher Kai) mit den Holzhäusern der einstigen Hansekontore.
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Mit der Bergenbahn, die es von Bergen über die fast immer schneebedeckte, wahrlich trollige Hochebene Hardangervidda bis nach Oslo in acht Stunden schafft, fahren wir diesmal nur zwei Stunden bis Myrdal. Dort umsteigen in die Flambahn. Die kriecht über eine Schienenlänge von 20 Kilometern von knapp 900 Meter runter auf null. Bis an den kleinen Hafen von Aurland am Aurlandfjord, einem Nebenarm des Sogne. Oft im Schritttempo, durch viele Tunnel, vorbei an grandiosen Wasserfällen, einsamen Bauernhöfen und vielen Wochenendhäuschen.
Solche »Hütten« liegen übrigens nach »Eigenheim« und vor »Boot« in der Erstrebenswert-Rangliste der Norweger auf Platz zwei. Meistens in der Solide-, statt in einer Luxusausführung. Drei, vier Jahrzehnte Wohlstand nach Jahrhunderten ärmlichen Lebens hat die Einheimischen bisher nicht ausflippen lassen, zumindest nicht sichtbar. Immer noch hätten die Norwegerinnen kaum Abendkleider, dafür aber ein Dutzend Anoraks im Schrank, konstatierte jüngst das Lifestylemagazin Cosmopolitan. Bodenständig blieb übrigens auch das Essen. Sogar Stockfisch, also der salzgelaugte Kabeljau von den Lofoten, ist wieder im Kommen. Und nach wie vor bedienen bei Familienfesten Pinnekjott und Smalahove, also Lammrippchen und geräucherter Schafskopf, den derben Geschmack.
Von Aurland nehmen wir dann für einen Tagesfjordtrip eine Fähre, die uns über mehrere Dorfhäfen abends letztlich bis Gudvangen bringt. All seine Fjorde waren Westnorwegen von der ausgehenden Eiszeit geschenkt worden. Oben Gletscher auf hohen Bergen, die schroff in die breiten Flüsse stürzen. In denen geht es in gleich steilem Gefälle mitunter bis auf ebenfalls 1000 Meter weiter runter. Grandios fürs Auge, Labsal fürs Gemüt. Längst auch für den sportlichen Kick: auf Paddel- und Surfrevieren, Mountainbikestrecken, in Paraglidingkorridoren.
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Reiche britische Reisende kamen bereits Mitte des 19. Jahrhunderts hierher. Inspiriert von den Reportagen eines gewissen Robert Everest. Der schwärmte von »einfachen und glücklichen Menschen in einer Natur in strengsten Formen« (1829). Andere Reisereporter haben das später brutal-realistisch geschildert, und Knut Hamsun hat es in seinem Nobelpreis-Roman »Segen der Erde« (1917) ergreifend psychologisch ausgelotet.
Um dem Norwegentourismus aber so richtig Auftrieb zu geben, musste noch ein echter Trendsetter her: selbst kindisch enthusiasmiert und ob seiner Bekanntheit hohen Nachäffungsfaktor garantierend. Das war Wilhelm II., seines Zeichens Deutscher Kaiser. Zwischen 1889 und 1914 trieb er sich Jahr um Jahr mit der Staatsjacht »Hohenzollern« oft monatelang in den Fjorden herum. Die »Wiege der Germanen« zog ihn, wie er schrieb, an. Dieses »kernige Volk«, das »als höchste Tugend die Treue zu seinem König« hoch hielt. (1908).
Und so wie deutsche Männer sich damals ihren kaiserlichen Bart zwirbelten, so übernahmen sie millionenfach diese spinnerten profaschistischen Vorlieben. Und die, die es sich leisten konnten, reisten dann eben auch wie S.M. in die Fjorde. Die Nazis schickten später mit gleicher Intention per »Kraft-durch-Freude«-Dampfer tausendfach schlichte Volksgenossen hinterher.
Im grandiosen hölzernen Kviknes Hotel von Balestrand am Sognefjord zeigt man gern einen Stuhl, auf dem der Monarch im Sommer 1914 ausgeruht haben soll. Kurz bevor er zurück nach Kiel dampfte, um in der Heimat, wahrscheinlich wikingerhaft höchst inspiriert, die Überfallbefehle auf Frankreich und Russland abzusegnen. Doch man sollte den Norwegern diesen ein bisschen peinlichen Reklamekult mit einem Schmunzeln durchgehen lassen. Denn was schon ist irgendwo am Fjord ein Kaiserstuhl gegen ein ganzes Schloss, das demnächst mitten in Berlin auch Ihm zu Ehren hingeprotzt werden soll?
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Norwegen ist ein wunderschönes Land mit netten, gastfreundlichen Leuten, denen es mehrheitlich recht gut geht und die als Fußballfans gerne lustige Wikingerhauben tragen. Aber natürlich sind da auch leichte Schattenseiten. So weisen etwa die Gunnar-Staalesen-Krimis auf soziale Abgründe und kriminelle Energien im reichsten Land Europas hin. Zwar liegt die Arbeitslosenquote aktuell bei nur 3,1 Prozent, aber es gibt dennoch leicht morbide Symptome. Hat doch inzwischen fast jedes Dorf einen der vor wenigen Jahren noch arg limitierten staatlichen Schnapsläden. Und gibt es doch auf den Fischmärkten längst wieder ganz legal Walfleisch zu kaufen. Deshalb auf nach Norwegen, so lange es noch Norwegen ist - am besten, wenn zwischendurch mal wieder die Sonne scheint.
● Infos: Innovation Norway, Caffamacherreihe 5, 20355 Hamburg,Tel.: (040) 22 94 150, www.visitnorway.com/de
● alle Reisebüros mit Angebot von DER-Touristik,Emil-von-Behringstr. 6, 60424 Frankfurt, Tel: (069) 95 88 59 28, www.dertour.de
● nd-Leserreisen, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin, Tel: (030) 29 78 -1620, -1621, www.nd-aktuell.de/leserreisen
● Literatur: Gebrauchsanweisung für Norwegen von Ebba D. Drolshagen, Piper, 2012, 240 S.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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