Irritierend altertümlich

Marek Požniak erkundet Metropolen mit der Box-Kamera

  • Martina Jammers
  • Lesedauer: 3 Min.

Den Gasometer in Schöneberg fotografierte Marek Požniak wie beiläufig. Hinter der Hausadresse 12-15 und einer Wohnungsgesellschaft wirbelt sich das Gitter in die Lüfte. Verblüffend die Doppelbelichtung des sattsam bekannten Flatiron Building in New New York. Keine keilförmige Anmutung, wie bekannt, vielmehr eine Art grobkörniger Leibniz-Keks. »You press the button, we do the rest«, man erinnert sich, das war der Werbeslogan, als George Eastman, der Begründer des Kodak-Imperiums, vor gut einem Jahrhundert das Fotografieren so vereinfachte, dass selbst Laien zu brauchbaren Ergebnissen kamen. Seitdem hat die Fotografie eine Entwicklung erlebt: technisch wie bildästhetisch. Inzwischen werden die analogen Prozesse durch die digitalen ersetzt.

In Relation dazu hat sich Marek Poźniak freiwillig in die fotografische Steinzeit zurückbegeben, als er mit einer vermutlich 1896/1897 gebauten englischen Amateurkamera zu fotografieren begann. Sie hat keine Entfernungseinstellung, keine veränderbaren Blenden, der Verschluss erlaubt nur die Wahl zwischen Daueröffnung oder Momentbelichtung und die Optik, sie verdient nach heutigem Maßstab nicht einmal diesen Namen. Vielleicht gerade deshalb liefert Marek Poźniak im Photoshop-Zeitalter berührende Bilder: Wie eine elegante Schlange windet sich die New Yorker Brooklyn Bridge. Und das »London Eye« zeigt das Scharnier in der Mitte, umgeben von den schattenrissartigen Turbulenzen des Riesenrades. Wie bestellt und nicht abgeholt steht das britische »Telephone«-Häuschen auf dem Fehrbelliner Platz.

Poźniak opponiert mit seinen Bildern gegen den Technik-Fetischismus unserer Tage und Bildbearbeitungen. Er setzt stattdessen auf die Magie alter, analoger Fotografien. »Die im Sinn der Straßenfotografie im städtischen Außenraum aufgenommenen Motive sowie die Langzeitbelichtungen in öffentlich zugänglichen Innenräumen entstandenen Motive zeigen eine irritierende Altertümlichkeit«, subsumiert Enno Kaufhold bei der Vernissage in der Fotogalerie Johanna Breede, welche wiederholt neuartige Blicke auf altbewährte Motive lenkt.

Dazu gehören Berliner »Versorgungsrohre« mit Werbung für das Max-Raabe-Orchester ebenso wie ein Defilee von »Ampeln an der Themse«, die an die Fotografie der »Neuen Sachlichkeit« erinnert. »Victoria Station« beschwört mit seinen Unschärfen hektischer Reisender die Technikeuphorie vor 100 Jahren. Während »S-Bahnhof Friedrichstraße« wie aus der Zeit gefallen scheint: Wann wurde dieses Foto erstellt? Die Rastermuster auf dem Boden sind bauhausverdächtig. Der einzelne Fahrgast geradezu ominös. Ähnliche Strukturen entdeckte Marek Požniak im Londoner Shakespeare Globe Theatre. Nebulös umwalkt ist der Ostbahnhof in Friedrichshain.

Mit seinen unzeitgemäßen Langzeitbelichtungen öffnet der Fotograf unsere Augen für alltägliche Motive. Er hält die Zeit an - und lässt das Leben fluten. Es entstehen meditative Tuschzeichnungen mit der Kameralinse. Hundertfach aufgenommene Ikonen wie die New Yorker »Brooklyn Bridge« taucht Požniak in ein neues Licht. Der Hudson River mit seinen Pfählen erscheint wie ein zweites Venedig.

Galerie Johanna Breede, Fasanenstraße 69, 10719 Berlin, bis 24.8.

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