Hellersdorf oder Abschiebung

Wohnheimbelegung geht weiter / Spandauer Flüchtlinge müssen gegen ihren Willen umziehen

  • Marina Mai
  • Lesedauer: 3 Min.

Am Freitag wurden Flüchtlinge gegen ihren Willen gezwungen, in das Heim in Hellersdorf zu ziehen. Nach Darstellung der Arbeiterwohlfahrt (AWO) bekamen 49 Flüchtlinge aus drei von ihr betriebenen Heimen die Aufforderung vom Landesamt für Gesundheit und Soziales, ihre Plätze zu räumen und nach Hellersdorf zu ziehen. 40 davon wohnten bis Freitag in der Spandauer Motardstraße.

»Dort spielten sich dramatische Szenen ab«, berichtet die Grüne Abgeordnete Canan Bayram, die vor Ort war. Die Flüchtlinge hätten Angst vor Hellersdorf. Die Pogromstimmung, die es am Montag dort gab, war weltweit Medienthema. Einige Berliner Flüchtlinge wurden demnach von Verwandten aus der Heimat gewarnt, sich bloß nicht in Hellersdorf in Gefahr zu begeben. Am Vormittag und am Nachmittag seien je zwei Kleinbusse mit insgesamt 15 Flüchtlingen nach Hellersdorf aufgebrochen. Bayram: »Die meisten waren Bosnier. Mir berichtete ein Familienvater, er hätte zwei Kinder, die nicht auf der Straße schlafen könnten. Darum habe er keine Alternative zu Hellersdorf.« Die Araber, die umziehen sollten, hätten sich Bayram zufolge in ihren Zimmern verbarrikadiert.

Manfred Nowak von der Arbeiterwohlfahrt, die das Heim Motardstraße betreibt, berichtet: »Wir wenden gegen niemanden Gewalt an. Aber das Landesamt für Gesundheit und Soziales hat uns aufgefordert, die Flüchtlinge vom Umzug zu überzeugen.« Das nicht ohne Grund: Die Motardstraße verfügt lediglich über 400 Plätze. Belegt waren am Freitag 591. Nowak: »Das geht nur, weil wir ein eigentlich wegen Baumängeln geschlossenes Gebäude wieder in Betrieb nehmen mussten und weil wir Zimmer gnadenlos überbelegen.« Wenn am Wochenende neue Flüchtlinge nach Berlin kommen, muss in der Erstaufnahmestelle Motardstraße Platz geschaffen werden. Silvia Kostner vom Landesamt für Gesundheit und Soziales bestätigt, dass es nirgends in der Stadt mehr freie Plätze in Flüchtlingsheimen gibt. Nirgends als in Hellersdorf. »Nach meiner Einschätzung haben die Flüchtlinge dort auch Schutz,« sagt sie. Weigern sich Flüchtlinge, an den ihnen zugewiesenen Platz zu ziehen, ist das Gesetz gnadenlos: Dann gilt das Asylverfahren als abgeschlossen, sie verlieren den Anspruch auf Sozialleistungen. Sofern sie nicht aus Staaten wie Syrien stammen, in die Abschiebungen unmöglich sind, müssen sie Deutschland dann auch verlassen. Auch die am Montag aus Hellersdorf getürmten Flüchtlinge durften lediglich zwei Nächte in der Motardstraße übernachten und sollten danach nach Hellersdorf zurückkehren.

Canan Bayram kritisiert: »Land und der Bezirk Marzahn-Hellersdorf machen sich Gedanken, wie sie mit den Ängsten der Hellersdorfer Nachbarn umgehen. Aber an die Ängste der Flüchtlinge denkt niemand.« Die Politikerin fordert vom Land, traumatisierte Menschen nicht gegen ihren Willen in eine Situation zu schicken, die ihnen Angst macht und die sie nicht überblicken. »Es gibt in Berlin genug Hostels, die das Land anmieten kann, um Flüchtlinge rasch alternativ unterzubringen.«

Laut Manfred Nowak von der AWO hätte der Bezirk Spandau für drei Bewohner eines weiteren Heimes aus Spandau, die am Freitag nach Hellersdorf ziehen sollten, eine humanitäre Lösung gefunden. Der Umzug von neun Bewohnern eines Lichtenberger Heimes nach Hellersdorf sei vorübergehend ausgesetzt worden, aber nicht vom Tisch. »Zehn Flüchtlinge aus der Motardstraße weigern sich nach wie vor, nach Hellersdorf zu ziehen. Sie tun mir zwar sehr leid, aber sie werden Probleme bekommen.«

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