Syrien: Linkenchef wirft Merkel »glatte Lüge« vor

Deutschland stehe am Rande einer illegalen Kriegsbeteiligung / Merkel: Beteiligung nur mit UN-Mandat / Grüne: Militärschlag unter bestimmten Voraussetzungen legitim

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Berlin (Agenturen/nd). Der Linkenpolitiker Jan van Aken hat Kanzlerin Angela Merkel aufgefordert, »endlich klar Position gegen einen Militäreinsatz« zu beziehen. Es könne »nicht sein, dass die deutsche Bundesregierung zu einem möglichen Militärangriff unter Führung der USA weiterhin stillschweigende Zustimmung signalisiert«. Der außenpolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag sagte, Merkel müsse schnellstens »dem US-Präsidenten mitteilen, dass sie jegliche direkte oder indirekte Beteiligung an einem Angriff auf Syrien ausschließt«. Außerdem erneuerte van Aken die Forderung seiner Partei, die Bundeswehr und die Patriot-Raketen aus der Türkei abzuziehen sowie deutsche Kriegsschiffe aus dem Mittelmeer zurückzuholen. »Nur Verhandlungen und ein konsequenter Stopp aller Waffenlieferungen können den Krieg in Syrien beenden«, sagte van Aken.

Derweil hat die Kanzlerin erklärt, »ein Tabubruch wie der Einsatz von Giftgas mit Hunderten von Toten« könne nicht ohne Folgen bleiben. »Wenn Männer, Frauen und Kinder mit Giftgas ermordet werden, dann kann die Welt das nicht einfach hinnehmen.« Die CDU-Politikerin schloss jedoch zugleich eine deutsche Beteiligung an militärischen Aktionen zunächst aus. »Deutschland kann sich an Militäreinsätzen im übrigen nur mit einem Mandat der Vereinten Nationen, der Nato oder der EU beteiligen - insofern stellt sich die Frage nach einer Beteiligung der Bundeswehr jetzt ohnehin nicht.«

Der Vorsitzende der Linkspartei, Bernd Riexinger, reagierte darauf mit den Worten, »die Behauptung, dass Deutschland nicht an einem Militärschlag beteiligt ist, ist eine glatte Lüge«. Gegenüber der »Passauer Neuen Presse« sagte der Linkenpolitiker, deutsche Soldaten stünden mit Waffen und Kampfauftrag in der Türkei, die sich schon zum Teil der Koalition der Willigen erklärt habe. Riexinger erklärte weiter, die Türkei, die von der Bundeswehr geschützt werde, befinde sich ab einem möglichen Angriff ohne UN-Mandat in einem völkerrechtswidrigen Krieg und damit »ohne Mandat und rechtswidrig« in der Türkei. Für diesen Fall werde seine Partei rechtliche Schritte prüfen, kündigte der Linkspartei-Vorsitzende an.

Zuvor hatte US-Außenminister John Kerry von angeblich klaren und schlüssigen Beweisen gegen die syrische Regierung gesprochen. Bei der Attacke am 21. August seien 1429 Menschen getötet worden, darunter mindestens 426 Kinder. Dies sei ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. US-Präsident Barack Obama erklärte kurz darauf, er habe noch nicht endgültig entschieden, ziehe aber eine »begrenzte« Militäraktion in Betracht. Es sei nicht hinnehmbar, »dass Frauen und Kinder und unschuldige Zivilisten in furchtbarem Ausmaße vergast werden«. Die Welt müsse dafür sorgen, dass der Einsatz chemischer Waffen ein Tabu bleibe. Zudem bedrohe der mutmaßliche Giftgaseinsatz in Syrien »nationale Sicherheitsinteressen« der USA. Daher erwäge er einen »begrenzten« Militärschlag ohne Bodentruppen. Paris sagte den USA Unterstützung zu.

Die syrische Regierung wies die Vorwürfe der USA als haltlose Lügen zurück. Diese basierten auf erfunden Berichten von Rebellen, berichtete die amtliche Nachrichtenagentur Sana unter Berufung auf das Außenministerium des Bürgerkriegslandes. »Nach tagelangen Übertreibungen ... verlässt sich US-Außenminister John Kerry auf alte Lügen und erfundene Berichte, die Terroristen vor über einer Woche veröffentlicht haben«, zitierte Sana. Syrien verurteile, wie die USA Entscheidungen über Krieg und Frieden treffen können auf der Grundlage von Veröffentlichungen in den Sozialen Medien und auf Webseiten.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) sagte dagegen der »Welt am Sonntag«, die von US-Außenminister Kerry »vorgebrachten Argumente wiegen schwer. Sie weisen klar in Richtung des Assad-Regimes. Sie sind plausibel. Jeder sollte sie ernst nehmen.«

Die USA sollten nach den Worten des Friedensforschers Daniel Müller vor einem Militärschlag gegen Syrien erst den Bericht der UN-Waffeninspekteure abwarten. Deren Proben nach einem mutmaßlichen Giftgaseinsatz im Umland von Damaskus müssten von unabhängigen Instituten untersucht werden, sagte der wissenschaftliche Mitarbeiter der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) dem Evangelischen Pressedienst (epd). Das Ergebnis werde von der internationalen Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) als Faktenbericht veröffentlicht.

Die Daten könnten Hinweise über den Urheber geben, sagte Müller. Die Staatengemeinschaft stehe allerdings vor dem Dilemma, dass ein Einsatz von Chemiewaffen und der damit verbundene Verstoß gegen das Genfer Protokoll nicht ohne Folgen bleiben dürfe. Zugleich gebe es aber im Hinblick auf den syrischen Bürgerkrieg »keine gute, zielführende Antwort«. Die Chemiewaffen könnten nicht aus der Luft zerstört werden, eine stärkere Bewaffnung der Rebellen sei problematisch und die Einrichtung einer Flugverbotszone schwierig durchzusetzen.

Die Grünen-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt wurde derweil in der »Bild am Sonntag« mit den Worten zitiert, »wenn jemand Giftgas einsetzt, muss dies Konsequenzen haben. Scharfe Sanktionen gehören dazu, in diesem Fall auch der Druck auf Russland. Alleingänge machen keinen Sinn.« Angesichts des vermuteten Chemiewaffeneinsatzes hält Göring-Eckardt einen Militärschlag in Syrien unter bestimmten Voraussetzungen jedoch für legitim: »Es gibt Menschenrechtsverletzungen, die so drastisch sind, dass der Weltgemeinschaft nach diplomatischen Verhandlungen, Druck durch Sanktionen, als letztes Mittel nur ein militärisches Eingreifen bleibt.« Ein solcher Schritt müsse aber sorgfältig abgewogen werden.

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier sprach von massiven Versäumnissen der schwarz-gelben Bundesregierung in der Außenpolitik. Deutschland habe in den vergangenen Jahren »gewaltig an Gewicht verloren in Washington und sich völlig zurückgezogen von einer Politik gegenüber Russland«, sagte er der »Frankfurter Rundschau«. »Das war ein riesiger Fehler, der jetzt offenbar wird.« Angesichts eines drohenden Militärschlags in Syrien könne Kanzlerin Merkel nun nicht vermitteln.

Der Chef des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, der CDU-Politiker Ruprecht Polenz, kritisierte wiederum SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück für seinen Sechs-Punkte-Diplomatie-Plan in der Syrien-Frage. »Steinbrück drückt sich vor einer Antwort auf den Tabubruch des Giftgas-Anschlags« sagte er der »Neuen Westfälischen«. Das sei aber aktuell das Wichtigste: »Momentan müssen wir erreichen, dass das Assad-Regime den Tabubruch des Giftgas-Einsatzes gegen das eigene Volk nicht wiederholt«, so Polenz. Der Christdemokrat plädierte aber dafür, den Bericht der Chemiewaffen-Inspekteure abzuwarten. Der UN-Sicherheitsrat werde den Bericht vermutlich schon an diesem Wochenende diskutieren. Es müsse nicht zum Militärschlag kommen, so Polenz. So könne man von der Assad-Regierung fordern »den für den Giftgasangriff Verantwortlichen an den internationalen Gerichtshof in Den Haag auszuliefern.«

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