»Lehrer sind keine Dienstleister«
Musikschulpädagogen kämpfen weiter gegen unfaire Honorarverträge
Pia Offerman steht aufgeregt im Blumenladen. Sollen es Sonnenblumen sein? Oder der knallgrüne Deko-Frosch mit Krone? Später wird die Musiklehrerin den Schlüssel für ihren neuen Unterrichtsraum abholen. Dem Vermieterpaar, ebenfalls Musiker, möchte sie etwas Nettes mitbringen. Immerhin waren sie für die Künstlerin sozusagen die Retter in der Not - ein bisschen wie der Prinz im Märchen.
Offermann hat an der Musikschule Steglitz-Zehlendorf Gitarre unterrichtet, 18 Jahre lang. Seit heute nicht mehr. Offermann ist eine der wenigen, die sich nicht in die vom Senat diktierte Verschlechterung an den Schulen gefügt hat. Seit Beginn des neuen Schuljahres gelten neue Honorarverträge für die Musiklehrer. Wer nicht oder unter Vorbehalt unterschrieb, wurde gekündigt. Wo vorher ein Pauschalsystem relative Sicherheit bot, verschlechtern jetzt aufwändige Einzelabrechnungen die ohnehin prekäre Lage. Lohnfortzahlung, Mutterschutz und Altersvorsorge - das alles gab es für Berliner Musikschullehrer ohnehin nicht. Aber noch mehr Aufwand für weniger Geld, das wollten sie nicht hinnehmen. Auch Offermann engagierte sich in der Landeslehrervertretung. Zwei Jahre lang wurde protestiert, ohne dass auch nur Gesprächsbereitschaft von der Senatsverwaltung signalisiert wurde. »Da zählt nicht der Mensch, sondern nur Paragraphen.« Ein ganzer Berufsstand sei so zerschlagen worden. Erpressung, Druck und Ausgrenzung: »Das sind diktatorische Methoden, die bei uns angewandt wurden«, entrüstet sich die 44-Jährige. »Wir leben nur scheinbar in einem demokratischen Land.« Die Künstlerin fühlt sich an die finsteren Seiten der DDR erinnert. Sie stamme aus einem »nicht staatskonformen Haushalt«, durfte nicht studieren. Nach dem Abitur an der Spezialschule für Musik in Wernigerode zog sie nach Berlin, arbeitete als Platzanweiserin im Schauspielhaus. Sie wollte in Theaterluft leben, seit sie mit vier Jahren im Haus ihrer Großmutter zum ersten Mal eine Geige hörte. Nach der Wende holte sie die Ausbildung nach, hat heute ein Diplom als Musikerin, instrumentelle Pädagogin und Kulturmanagerin - erworben zum Teil mühevoll nach dem »normalen« Musikeralltag. Zudem gehören neben dem Unterricht auch mehrere Stunden üben am Tag. »In den Ferien sind es schon mal zehn«, erzählt sie.
Im April kam das Aus. Da lag der Brief mit dem Neuvertrag im Briefkasten. »Ich habe ihn einfach dort gelassen.« Offermann wurde depressiv, konnte kaum schlafen. »Ich habe noch nie so schlechten Unterricht gegeben wie in dieser Zeit«, erinnert sie sich. Sie suchte nach Wegen in die Selbstständigkeit. Fünf Tage vor Ende der Unterzeichnungsfrist die Erlösung: Eine Schülerin fand für sie das Zimmer im Souterrain des Musikerpaares. Alle ihre Schüler wechseln mit ihr in die Selbstständigkeit. Zur Abrechnung hat die Lehrerin ein ähnliches Pauschalsystem entwickelt, wie es früher an der Schule existierte. »Ich habe mir meine Lohnfortzahlung selbst geschaffen«, lacht sie. Nicht für alle eine Alternative: »Was ich mehr verdiene, frisst die Miete wieder auf.« Außerdem hat die Gitarristin noch weitere Einkünfte, tourt als Solistin und doziert an der Kunsthochschule in Bremen. Dieses Glück habe nicht jeder.
Gerade heute, am ersten Tag in ihrem neuen Leben, trifft Bildungsstaatssekretär Mark Rackles (SPD) zum ersten Mal mit ver.di und der Lehrervertretung zusammen. Offermann erwartet nicht viel davon. »Nach außen bewahrt die Bundesrepublik den Schein eines Kulturstaates - aber unterstützt nicht die, die ihn tragen.« Die Verwertungslogik müsse endlich aufhören. »Ich bin Lehrerin, Künstlerin, Akademikerin - aber sicher keine Dienstleisterin.«
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