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Aus dem Netz in die Köpfe

Podiumsdiskussion über Blogs als Mittel im Kampf gegen Sexismus und Rassismus

  • Celestine Hassenfratz
  • Lesedauer: 4 Min.
Aufschrei und N-Wort-Debatte bestimmten Anfang des Jahres die gesellschaftlichen Debatten. Welche Rolle spielen Blogs und Twitter bei den Diskursen um Sexismus und Rassismus? Welches Potenzial bergen die Massenmedien und wie unterscheidet sich die Blogosphäre davon? Diesen Fragen widmete sich eine Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Alles begann im Januar. Draußen rieselten die Schneeflocken, drinnen in den Wohnungen leuchteten die Bildschirme. In den Timelines des Kurznachrichtendienstes Twitter tauchte immer wieder ein Wort auf: »aufschrei«.

»Die jungen Männer, die mir nachts aus dem Auto Obszönitäten zuriefen, so dass ich jahrelang nicht mehr alleine nach hause ging. aufschrei«, schrieb eine Nutzerin. »Der Typ, der mit mir im Nachtbus fuhr, wartete, bis dieser um die Ecke war und mich dann an die Wand drängte und fummelte ... aufschrei«, eine andere. 25 888 NutzerInnen mit 93 667 Tweets waren es in den ersten beiden Wochen. Unter dem Hashtag (Stichwort) »aufschrei« machten sie ihre Erfahrungen zu Alltagssexismus und sexuellen Übergriffen auf Twitter sichtbar.

Etwa zeitgleich veröffentlichte Laura Himmelreich im »Stern« ein Porträt über den FDP-Spitzenkandidaten Rainer Brüderle und dessen sexistische Äußerungen. Annett Meiritz, Autorin bei »Spiegel online«, hatte zuvor in einem Artikel über Sexismus die Frauenfeindlichkeit bei den Piraten thematisiert. Die Autorinnen von »Spiegel online« und »Stern« und die NutzerInnen, die unter »aufschrei« twitterten, hatten eines gemeinsam: Sie brachten ihre ganz persönlichen Erfahrungen mit Sexismus in die Öffentlichkeit. Auf diese Besonderheit wies auch Anna-Katharina Meßmer, Mitinitiatorin von »aufschrei« in ihrem Vortrag auf der Veranstaltung hin.

Deutschland diskutierte und stritt darüber: Was ist harmloses Flirten, wo fängt Sexismus an? Wie allgegenwärtig sind sexuelle Übergriffe in unserer Gesellschaft? Männer zeigten sich besorgt und fragten: Was dürfen wir denn jetzt überhaupt noch? Eine öffentliche Debatte über Sexismus in Deutschland war geboren.

Etwa zur gleichen Zeit brach sich ein anderer Diskurs in der Gesellschaft bahn: Wie mit rassistischen Begriffen in Kinderbüchern umzugehen sei.

Unter dem Motto »Rassismus und Sexismus abbloggen«, hatte die Friedrich-Ebert-Stiftung am Montagabend zu einer Reihe von Vorträgen und einer Diskussionsrunde zu diesen beiden Themen eingeladen. Im Vordergrund stand die Frage, inwieweit die beiden Debatten parallel verliefen und welche Rolle dabei Social-Media-Kanäle wie Twitter oder Blogs spielten. Die Veranstaltung wurde per Livestream ins Netz übertragen. ZuschauerInnen vor dem Computer zu Hause konnten über Twitter ebenso Fragen stellen wie die Anwesenden vor Ort.

»Nicht einmal ein Prozent aller Deutschen nutzen Twitter«, darauf wies Teresa Bücker, Referentin für Social Media bei der Bundestagsfraktion der SPD, in ihrem Vortrag hin. Dennoch fand die Aufschreidebatte ihren Weg in die Massenmedien, begünstigt durch die Texte von Meiritz und Himmelreich. Im Juni gewann »aufschrei« den Grimme-Online-Award. Die Begründung der Jury verdeutlichte, dass »aufschrei« etwas Neues geschafft hat: Ein Thema aus der Diskussion im Netz in die etablierten Medien zu tragen.

»Medien können nicht ignorieren, was um sie herum passiert, Twitter und Blogs können wichtige Debatten anstoßen«, sagte Annett Meiritz bei der Podiumsdiskussion. Dass Sexismus und Rassismus nicht getrennt voneinander verlaufende Diskriminierungsformen sind, machte Jamie Schearer von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland deutlich. Sie zeichnete in ihrem Vortrag den Auslöser, Verlauf und die mediale Verhandlung der (Anti-)Rassismus-Debatte in Deutschland nach. Schearer betonte dabei: »Das N-Wort ist und war noch nie ein neutraler Begriff« und bezeichnete die Debatte um die Benutzung des N-Wortes in Kinderbüchern als eine von strukturellem Rassismus geprägte Debatte. Sie stellte als Gemeinsamkeit der Sexismus- und Rassismusdebatte heraus, dass die Allgemeinheit Rassismus oder Sexismus als Problem der Betroffenen wahrnimmt, mit dem sie nichts zu tun haben.

»Mehr Vielfalt, mehr Menschen mit Migrationshintergrund in den Redaktionen«, forderte deshalb Sabine Mohamed, freie Autorin und Bloggerin des feministischen Blogs »Mädchenmannschaft«, bei der Podiumsdiskussion. Denn, so sagt sie, es ist nicht nur wichtig, worüber geschrieben wird, sondern auch, wer über etwas schreibt. Und Massenmedien erreichen eben viel mehr Leute als diejenigen, die auf Twitter und Blogs die Debatte anstoßen.

Zumindest die Friedrich-Ebert-Stiftung wollte an diesem Abend ein diskriminierungsfreier Raum sein. Alle Anwesenden wurden gebeten, auf rassistische und sexistische Begriffe in ihrer Sprache zu verzichten. So ganz gelang das nicht, ein Zuschauer aus dem Livestream beschwerte sich über Twitter, er fühle sich durch die gegenderte Sprache als Mann nicht mehr vertreten. Das Publikum quittierte die Beschwerde mit einem langen ironischen »Oooooh«.

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