Weniger Angst und Trubel
Zwei Flüchtlinge aus Pakistan berichten aus ihrem Alltag in Hellersdorf
»Ich bin dankbar, dass Deutschland mir dies alles gibt«, sagt Abdullah aus Pakistan. Der 21-Jährige zeigt in das Zimmer, das er mit zwei Landsmännern in der Notunterkunft in Hellersdorf teilt. Die drei Betten sind mit frischer Bettwäsche bezogen. Drei neue Kleiderschränke stehen in dem Raum, der früher ein Klassenraum der Max-Reinhardt-Oberschule war. Das Zimmer ist durch eine Trennwand in zwei kleinere Räume geteilt. Abdullah gießt für sich und seinen Freund Asifgquen (26) Cola nach. Ihr dritter Mitbewohner ist nicht zu Hause. Die beiden Männer, die in Pakistan Studenten waren und wegen politischer Verfolgung fliehen mussten, haben viele Fragen. Es gibt Dinge hier, die sie sich nicht erklären können.
Als sie vor zwei Wochen hier einzogen, stand überall Polizei in der Straße. Der Kleinbus des DRK, der sie und weitere Flüchtlinge aus der Zentralen Erstaufnahmestelle für Asylbewerber aus Spandau nach Hellersdorf fuhr, stellte die letzten Meter Blaulicht ein. Warum? Und warum standen hinter dem Zaun so viele Menschen, die Fotos von ihnen machten, wie sie ihre kleine Habe aus den Kleinbussen holten? Abdullah wusste nicht, dass das Fotojournalisten waren, und die Belegung des Heims bundesweit für Schlagzeilen zur ausländerfeindlichen Stimmung in Hellersdorf sorgte. Er konnte auch nicht hören, wie Anwohner, die zwischen ihnen standen, die Ankunft der Flüchtlinge kommentierten. Eine Nachbarin erklärte den erstaunten Journalisten, warum sie etwas gegen »Asylanten« habe: »Sie wissen doch, dass die überall, wo sie sind, Probleme machen. Am schlimmsten war es in Rostock, wo die Asylanten ihr Haus angesteckt hatten.« Das Argument, dass ganz andere Leute die Brandsätze gelegt hatten, prallte an den Frauen ab.
Abdullah und Asifgquen fühlen sich dennoch wohl in dem neuen Heim. »Es ist viel sauberer als in der Spandauer Motardstraße«, erläutert Abdullah. »Die Mitbewohner sind alle nett.« Drei tschetschenische Jungen fahren mit Rollern über den breiten Flur des ehemaligen Schulgebäudes vor der Zimmertür und haben Spaß dabei. Im Nebenzimmer beginnt ein Kleinkind, lautstark auf sich aufmerksam zu machen. Auch das Heimpersonal sei ausgesprochen nett, meinen die beiden Männer.
Das Manko: Die Mitarbeiter sprechen ihre Sprache, Urdu, nicht und auch nur sehr schlecht Englisch. »Es gibt Mitarbeiter, die Serbisch und Kurdisch sprechen, so dass sie sich mit anderen Heimbewohnern unterhalten können. Für uns muss dann immer jemand ins Englische übersetzen«, erläutern sie. Zum Beispiel, um zu erklären, dass in der Nähe des Heimes Nazis wohnen und dass die Polizei zu ihrem Schutz da sei. Und auch, dass es an den ersten Tagen nach dem Einzug nicht empfehlenswert war, das Haus zu verlassen.
Inzwischen gehen die beiden Männer ganz selbstverständlich zum Einkauf. »Heute sind wir nach Spandau in unser altes Heim gefahren und haben Freunde besucht«, erzählt Abdullah. Die nach dem Einzug am 19. August angespannte Lage hat sich beruhigt. Journalisten suchen nicht mehr täglich nach einem Fotomotiv. Einige Anwohner haben sich mit den neuen Nachbarn zumindest abgefunden. Andere schmieren nach wie vor Hakenkreuze in die Nähe des Heimes und laufen mit Schildern und Shirts herum, auf denen »Nein zum Heim« steht. Auch das wissen die beiden Männer nicht. »Wir haben aber gehört, dass wir bald ein Fahrrad geschenkt bekommen«, sagt Abdullah. Über ein Fahrrad würde er sich sehr freuen. Sonst ist er anspruchslos. »Einen Deutschkurs will ich schnell belegen«, sagt er noch. »Möglichst bald will ich arbeiten.«
Das Fahrrad könnte von den Hellersdorfern kommen, die gegenwärtig in der Kirchengemeinde und in einer Kita Spenden aus der Nachbarschaft sammeln. Viel Kinderspielzeug ist dabei, Bettwäsche, gebrauchte Kleidung und auch einige wenige Fahrräder. »Anfangs hatte ich Angst vor den schwarzgekleideten Männern, die immer an der Ecke rumsitzen«, sagt Abdullah noch. Er meint die Mahnwache von Antifaschisten. »Aber vor zwei Tagen haben mir Mädchen, die unter dem Fenster standen, erklärt, dass die Männer uns nur vor den Nazis beschützen wollen.« Seitdem gehen die Pakistani ohne Angst vor das Haus.
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