Werbung

Trotz Hungerstreiks liefert Wien nach Deutschland aus

»Kriminelle Energie« linker türkischer Aktivisten galt vor allem Organisation eines »Yorum«-Konzertes

  • Hannes Hofbauer, Wien
  • Lesedauer: 3 Min.
Seit 40 Tagen wehren sich die linken Aktivisten Yusuf Tas und Özgür Aslan mit einem Hungerstreik gegen die Überstellung nach Deutschland. Dem Auslieferungsantrag wurde im Falle Yusuf Tas am Dienstag vom Oberlandesgericht Wien aber stattgegeben.

Im Zuge eines EU-europäischen Haftbefehls waren die beiden Aktivisten Ende Juni 2013 in Wien festgenommen worden. Yusuf Tas droht nun eine Anklage nach Paragraf 129b, Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. In Österreich liegt gegen beide, die hier leben, nichts vor.

Im Fadenkreuz der deutschen Justiz, die nun ihre Arme nach Österreich ausstreckt, steht die »Anatolische Föderation«. Das ist ein sowohl in Deutschland wie auch in Österreich tätiger Kulturverein, in dem die beiden Antifaschisten engagiert waren.

Der deutsche Verfassungsschutz beobachtet den seit zehn Jahren existierenden Verein und zählt ihn zum Umfeld der »Revolutionären Volksbefreiungsfront« (DHKP-C). Dieser werfen türkische Behörden Anschläge auf Polizeistationen und die US-Botschaft in Ankara vor. Die EU führt die DHKP-C auf ihrer »schwarzen Liste« terroristischer Organisationen. Der deutsche Paragraf 129b rückt jedes Engagement, das dem Umfeld einer als »terroristisch« definierten Gruppe zugeordnet wird, ins kriminelle Eck.

Den beiden Hungerstreikenden werden weder Beteiligungen an Anschlägen noch andere Gewalttaten zur Last gelegt. Ihre »kriminelle« Energie scheint in der Organisation von Großveranstaltungen und Feriencamps zu liegen. Das war ein Konzert der populären Gruppe »Yorum« (»Interpretation«). Sie zählt seit 1985 mit sozialrevolutionären Texten zu den bekanntesten linken türkischen Interpreten.

Auch in Deutschland und Österreich kommen Tausende Besucher zu den Konzerten von »Yorum«, die zuletzt verstärkt Lieder gegen die Situation in den türkischen Gefängnissen und das »Todesfasten« geschrieben haben, dem bereit über 100 politische Gefangene zum Opfer gefallen sind.

»Yorum« wird von den türkischen Behörden eine Nähe zur »Revolutionären Volksbefreiungsfront« zugeschrieben. Ein Verbot wagt Ankara angesichts der Popularität der Gruppe nicht auszusprechen. Mitglieder von »Yorum« werden allerdings immer wieder verhaftet und im Gefängnis gefoltert. Im September 2012 wurden die Sängerin Selma Altin und die Geigerin Dilan Balci festgenommen. Der Sängerin zerstörte man das Trommelfell, der Geigerin brach man das Handgelenk. Ihr Wien-Konzert Anfang September 2013 konnte die Gruppe »Yorum«, die sich wegen brutaler Repression personell immer wieder erneuern muss, nur zu viert spielen. Mehrere Bandmitglieder waren am Flughafen in Istanbul an der Ausreise gehindert worden.

Die richterliche Bestätigung der Auslieferung von Yusuf Tas an Deutschland dauerte ganze 20 Minuten. Yusuf Tas saß völlig abgemagert im Verhandlungssaal, umgeben von acht schwer bewaffneten Sonderpolizisten. Zu Wort kommen ließ ihn der Richter nicht. In der Begründung nahm das Gericht einzig auf den EU-europäischen Haftbefehl Bezug. Dem ist auch dann Folge zu leisten, wenn gar nicht feststeht, ob es sich bei der DHKP-C, der Yusuf Tas laut deutschem Auslieferungsantrag als »führender Kader« angehören soll, um eine in Österreich verbotene Organisation handelt.

Die beiden protestierenden Aktivisten erfahren nur wenig Solidarität vor Ort. Kleine Demonstrationen gegenüber dem Gefangenenhaus in der Josefstadt erreichen weder die Redaktionen größerer Medien noch einzelne türkischstämmige Abgeordnete in den unterschiedlichen politischen Parteien. Die klare antifaschistische Haltung der Hungerstreikenden wird im liberalen Mainstream tunlichst überhört.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.