»Drei Pornofilme, fuffzich Mark«
Gerd Kroske porträtiert Freiheitssucher, Außenseiter, Libertins. Das Kino Arsenal zeigt drei seiner Filme
»Am liebsten mag ich Haschisch rauchen, Liebe machen und Musik hören«, sagte Wolli früher einmal dem Schriftsteller Hubert Fichte im Gespräch. Wolli, 73 Jahre alt, großzügig tätowiert, häufig in eine Art indischen Folklorekittel gekleidet, steht für gewöhnlich gegen 17 Uhr auf.
Er schreibt Gedichte, die ein wenig nach Francois Villon klingen, und zeichnet mit Buntstiften fein säuberlich und mit großer Akribie verschachtelte Panoramen, auf denen sich Samstagnachtgestalten, Großstadtgelichter, sich entblößende Huren und Dämonengesichter aneinanderreihen. Seine »Zeichnerei und Schreiberei« nennt er das.
Gerade hat er sich die im Alter dünner werdenden Haare gewaschen. Wir sehen ihm zu, wie er sich vor dem Badezimmerspiegel die feuchten Haare zurechtmacht. »Nimm doch was von dem Schaumfestiger«, wird ihm empfohlen. »Das ist ja, als ob ich mir den Arsch wasche und dann Lehm ranschmiere«, sagt er ungehalten und verlässt den Raum.
»Wolli«, eigentlich Wolfgang Köhler, ist nicht mehr »auf’m Kiez«, er arbeitet schon länger nicht mehr. Seine Frau Linda, die einst für ihn anschaffen ging, auch nicht. Jahrzehntelang war Wolli als Zuhälter und Bordellbetreiber auf St. Pauli tätig. »Moralisch hab’ ich doch keine Bedenken, Liebe zu verkaufen. Ich hätte bedenken, Waffen zu verkaufen«, schnauzt er einmal den Filmemacher an, der zwölf Tage lang in Wollis und Lindas Wohnung in Hamburg-Ohlsdorf drehte. »Wollis Paradies« heißt der Film.
Es sind von der Gegenwart zu Unrecht Vergessene, die der Filmemacher Gerd Kroske in seiner »Hamburger Trilogie« porträtiert. Schillernde Figuren, die einen nicht alltäglichen Lebensweg gegangen sind, die einmal wer waren und die im Lauf von zwei bis drei Jahrzehnten weit mehr erlebt zu haben scheinen, als in ein gewöhnliches Menschenleben hineinpasst. Menschen, die stets einiges daran gesetzt haben, rechtzeitig einem kleinbürgerlichen Lebenswandel zu entfliehen: Außenseiter, Libertins, Großmäuler, Freiheitssucher, Gestrauchelte. Männer, die in der Achterbahn des Lebens erst rauf und dann wieder runter gefahren sind.
Typen wie Wolli Köhler, der als 18jähriger sein Zuhause verließ, um zunächst im Bergbau zu schuften, wo er gemeinsam mit fünf anderen Männern in einer Baracke nächtigte und es »Wodka eimerweise« gab. »Das war außergewöhnlich und unbürgerlich. Und das hat mich angezogen.« In Hamburg als Portier tätig, verkauft er »Pornobilder«, Hehlerware und Aufputschmittel. 1966, als 34-Jähriger, wird er zwei Jahre Hamburgs erstes illegales Pornokino betreiben (»Drei Filme à zehn Minuten, fuffzich Mark«), bis es schließlich auffliegt. Boulevardzeitungsschlagzeilen, Haussuchung, Strafprozess, 2000 Mark Geldstrafe. Später wird der Autodidakt, der aus dem Handgelenk hie und da auch mal Brecht oder Sartre zitiert, wenn’s gerade passt, eine amtliche Prüfung zum »hanseatischen Kaufmann« ablegen müssen, um sein eigenes Bordell zu betreiben, in dem die Frauen »Anteilsscheine« kaufen können. Was ihm, wie er sagt, vorschwebte, sei eine Art sozialistischer Kollektivbetrieb gewesen, in dem die Frauen stärker am Gewinn beteiligt werden. Es folgen Indienreisen, Hippiekonzerte, fröhlicher Drogengebrauch, Sex am Strand, LSD-Experimente. Man kann nicht sagen, der Mann habe mit seiner Zeit nichts anzufangen gewusst.
In »Der Boxprinz«, einer Dokumentation über die gescheiterte Karriere des in den 60er Jahren ebenso profilierungssüchtigen wie umstrittenen Profiboxers Norbert Grupe (»Der Prinz von Homburg«), dem es trotz seines außergewöhnlichen sportlichen Talents nie gelang, einen Titel zu gewinnen, und dem es daher nie vergönnt war, zu größerem Wohlstand zu kommen, zeigt uns Kroske einen zerknitterten Haudegen mit Sattelnase, der sich, mit leerer Bierflasche vor sich, seine alten Profikämpfe auf Video ansieht und jammert, wie ungerecht er vom Schiedsrichter behandelt worden sei. Als extrovertierter, dem Feiern nicht abgeneigter Lebemann mit guten Kontakten ins Hamburger Drogen- und Rotlichtmilieu, hat Grupe am Ende fast alles wieder verloren, was er sich sportlich erkämpft hatte. Seine letzten Lebensjahre brachte er, in bescheidenen Verhältnissen lebend, als Kleindarsteller für Hollywood-Filmproduktionen in Los Angeles zu. 2004 verstarb er an Krebs.
Eine Großtat Kroskes ist wohl sein jüngster Film, »Heino Jaeger - Look before you kuck«, der die Biographie des heute leider so gut wie vergessenen subversiven Künstlers Heino Jaeger nachzeichnet. Jaeger, der 1997 mit 59 Jahren verarmt in einer psychiatrischen Einrichtung verstarb und dessen Werk heute so bekannt wäre wie das von Loriot oder Gerhard Polt, wenn diese Welt gerecht wäre, war Zeichner, Quertreiber und einer der größten Humoristen deutscher Sprache. Für kurze Zeit hatte er in den 70er Jahren eine Hörfunksendung (»Fragen Sie Dr. Jaeger«), in der er einen nonkonformistischen Humor pflegte, der unverstanden blieb in einem Land, das nur den Schenkelklopfer und die Zote goutierte.
Erläuternde oder gar suggestive Off-Kommentare bleiben in Kroskes Filmen aus. Das Reden, das Erzählen überlässt er ganz den Halbweltfiguren vor der Kamera, die häufig freimütig höchst private Dinge preisgeben.
Zuweilen hören wir aus dem Off die eine oder andere bescheidene Frage des Regisseurs, der stets zu wissen scheint, wann Schluss ist mit Nachfragen. Seit 1989 arbeitet Kroske auch an einer dokumentarischen Langzeitbeobachtung: Er begleitet mit der Kamera Leipziger Straßenkehrer.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.