Kunst in Erklärungsnot

Künstler? Was ist das? Fragt der Markt, fragt das Establishment, fragt Meister Trend.. Die Wahlparteien mogeln sich um einen Standpunkt zum Stellenwert der Kultur herum

  • Harald Kretzschmar
  • Lesedauer: 7 Min.

Seitdem Globalisierung angesagt ist, kennt die destruktive Energie der herrschenden Marktprinzipien kaum noch irgendwelche Grenzen. Traditionell wertkonservative Gesinnung, immer schon nach rechts hin offen, gibt sich jetzt gern revoluzzerhaft. Linkslastig? Keineswegs. Vor dem Wort Revolution zurückschrecken, das ist ganz altmodisch. Es ist nun mal so: Nichts vom Überkommenen ist noch heilig - außer natürlich dem inbrünstig angebeteten Sankt Profit.

Bislang traditionell gehätschelte Lieblingskinder wie die Zeitung und das Buch werden über kurz oder lang zur Wegwerfware erklärt. Allein die unentbehrliche Werbung darf weiterhin Papier verschwenden. Unsere Hände fassen es nicht mehr, nein, die Finger gleiten nur noch, und geleiten uns ins virtuelle Zauberreich. Ohne Strom kein Boom. Allein ist man keiner. Erst vernetzt ist man instandgesetzt. Umsturz, und alle machen mit. Nicht aus Einsicht und kaum aus eigenem Antrieb, nein, man lässt sich tragen von einer Welle, und die heißt »Das ist doch jetzt in!« Internet ist das Zauberwort. Das Netz nimmt alle gefangen. Die verschlossensten Charaktere mutieren über Nacht zu Plaudertaschen, die alle Welt für Freunde halten und deshalb aller Welt alle Intimitäten über sich selbst anvertrauen.

Jede Scheu vor der Übermacht herrschender Instanzen ist wie weggeblasen. Google und Facebook, Amazon, Yahoo - gottgleich verehrte Größen. »Nix bezahlen« heißt es, und so wird man kostenlos ums Seelenheil betrogen. Was als Arbeitsmittel und Informationsquelle ideal ist, wird zum Nonplusultra hochstilisiert. Jede Person kann sich nunmehr per Mausklick in den Himmel der Kunstschaffenden katapultieren. Kunst muss neuerdings weder fassbar noch aufhebbar sein. Je vager, desto cleverer. Kunst wird zur Disposition gestellt. Parlamente stimmen ab. Künstlersozialkasse? Wer ist denn da drin? Hungerleider durchfüttern mit Steuermitteln? Der Bund der Steuerzahler ist da mit Arbeitgeberverbänden einig: Bitte nicht weiter mit uns. Ja, für eine extravagante Elbphilharmonie gab es eine Stimmenmehrheit. Wenn es teuer wird - Schicksal. Falls wir zum Ausgleich die Ausbildung der Musiker eingespart haben - macht nichts, die werden aus Fernost zu jedem Konzert eingeflogen.

Nicht nur das Wort, nein, der ganze Begriff Kunst gerät zunehmend unter Erklärungsnot. Kunstkritik hat sich als Institution bereits vor Jahren verabschiedet. Nun setzt massiv die Erosion ein. Gigantische Felsbrocken verehrter Kunsthistorie liegen wie Fremdkörper auf einer Ebene herum, die zur Spielwiese von Dilettanten zu werden droht. Joseph Beuys, chronisch missverstanden überbewertet, muss dafür als Kronzeuge herhalten. Mit Hightech hochalimentierte Kunsthochschulen schwenken bereits auf einen Kurs ein, der statt Handwerk Mundwerk und statt Bildgestaltung Eventkultur bei den Auszubildenden fördert. Dennoch verschwindet das Gros der Ausgebildeten hinterher sofort rettungslos im Prekariat der Nichtvermittelbarkeit. Künstler? Was ist das? Fragt der Markt, fragt das Establishment, fragt Meister Trend.

Welche Antwort hat die Politik darauf? Wahlkampagnen sind kunstlose Konstrukte. Woher auch? Kunst des Regierens? Unbekannt. Opponieren ist nur ein Reflex. Wer fragt jemals nach Kunst? Weder in den regierenden noch in den opponierenden Parteien gewinnen Experten für Kunstfragen nennenswerten Einfluss. Dabei werden sie ununterbrochen damit konfrontiert. Freihandelsabkommen mit USA und Buchpreisbindung, dafür braucht es Fachwissen. Zehntausende EU-Beamtete wälzen Akten. Kunst? Kein Thema. Juristische Kleingeister treiben inzwischen geistige Urheber dazu, ihr verbrieftes Recht und sich selbst freiwillig aufzugeben. Der Masochismus der Selbstaufopferung, von der literarischen Metapher zur Realität gemacht. Mehrheiten der besonderen Art zählen: Aktienmehrheiten. Konzerne als Marktführer müssen zum Verlegen von Literatur und zum Herstellen von Kunst nicht demokratisch abstimmen lassen. Gelegentlich braucht man Denkmäler und Kunst für Staatsbauten. Wer entscheidet darüber? Tatsächlich eine Jury. Was übrigens ist das? Aktuell ist das der Jux für offiziell Bedienstete unter Ausschluss derer, die Kunst schaffen. Der Souverän diktiert das eben.

Zugegeben: Einfach ist die Materie nicht. Übrigens nie gewesen. Früher fanden aber mehr künstlerisch interessierte, gebildete oder tätige Menschen in die Politik. Es soll schon mal Künstler als Abgeordnete, ja, sogar als Minister gegeben haben. Jetzt gibt es zwischen maßlos Arrivierten und Zukurzkommenden kaum einen Mittelbau.

Eine Analyse der Situation? Wer soll sie im föderal zersplitterten Apparat leisten? Der Staatsminister für Kultur und Medien entdeckt inzwischen das Zauberwort Kreativwirtschaft - was auch immer er darunter verstehen mag. Muss er deshalb Kunst als solche nicht mehr verantworten? Die Lobbyisten der ultraorthodox postpreußischen Schickeria Potsdams dürfen nunmehr sein Geldsäckel um zwölf Millionen für die Wiedererrichtung des Militärtempels Garnisonkirche erleichtern. Da sollten statt des vorhandenen Treu-und-Redlichkeits-Gebimmels alle Alarmglocken läuten. Um des hier anzubetenden Kriegsgottes willen: Worauf orientiert er da?

Wo übrigens erfahre ich als abstimmender Wähler, was und wie jenes Ministerium wofür getan, sprich gezahlt hat? Angeblich steigerte es die Summe der Subventionen - übrigens das falsche Wort am falschen Ort. Grundnahrungsmittel Kultur gehört zur Grundversorgung. Das Beispiel wirkt von oben nach unten. Schauplatz Kommune Potsdam: Neuerdings unpassende Kunst und Architektur entfernen? Das ist immer bezahlbar. Als Symbol erträumter Reisefreiheit schmückte das faszinierende »Flugschiff« von Peter Rohn und Christian Roehl das Haus des Reisens am Platz der Einheit. Nach Abriss des Gebäudes fand man für das metallisch blinkende Kunstwerk keine Verwendung. Ab ins Depot. Oder: Die Sichtachse der jetzt zu Schlossbewohnern geadelten Abgeordneten des brandenburgischen Landtages zur Havel hin behindert ein Hotelhochhaus. Weg damit, sagt der maßstabsgerecht preußisch entwickelte hiesige Kunstverstand. Und dafür gibt es sogar einen eigenen Fonds an Geldmitteln.

Die Welt von gestern ist, digitalisiert, kaum wiederzuerkennen. Die Verführungskraft neuer Medien ist gewaltig. Wer will bestreiten, dass Veränderung bitter notwendig ist. Aber die Kunst opfern? Was zart und empfindlich ist, niedermachen im Namen des Fortschritts? Wer kann das verantworten? Im knallharten Wettbewerb ist nur das Mobbing geschmeidig. Wer - wen? Allzu oft ist das die Frage. Der Geldgeber ist der Auftraggeber. Wenn du einen Auftrag nehmen darfst, hast du dein Geld noch lange nicht. Das Wort Zahlungsmoral kann man getrost aus dem Duden streichen. Feudalaristokratische Allüren der Spitzenverdiener haben einen hohen Unterhaltungswert. Über den kümmerlichen Alltag in den Ateliers und Werkstätten gehen wir schamhaft hinweg. Nur zum Tag des offenen Ateliers dürfen die Aktiven kostenfrei Kaffee und Kuchen servieren. Die stumme Variante schreiender Ausbeutung ist die freiwillige Selbstausbeutung. Die Schere klafft weit auseinander.

Kein Mensch lebt immer nur ökonomisch korrekt. Und wenn, dann wird eine Vogelscheuche aus ihm, nur bewegt von finanzieller Berechnung. Das Gemeinwesen des Staates kehrt gegenüber Wünschen der Künste allerdings gern den Geizkragen heraus. Es ist höchst redselig, was Geld sparen betrifft, und geradezu schüchtern im Nennen kultureller Ziele. Ehe er sie beim Namen nennt, hat er sie womöglich schon weggespart. Richard von Weizsäcker war der einzige Bundespräsident, der Kunst und Kultur zum Pflichtprogramm erklärte. Sein momentaner Nachfolger gibt kunstfremd nonstop den Prediger in der posttotalitären Wüste. Zur Wahl steht nicht er, sondern die Frau Kanzlerin. Ateliers, zumal östliche, sind für sie terra incognita. Ihre Partei hat andere Sorgen - offiziell ist sie sorgenfrei.

Die zur Zeit mit ihr koalierenden Freien Demokraten sind so frei, die Grauzone totaler Kunstabstinenz zu besetzen. Die SPD hatte mal Böll und Grass zu einflussreichen Freunden, und Lattmann und Conradi zu wahrlich wirkungsmächtigen Abgeordneten. Ihre Kanzler gaben sich kunstnah, und bewirkten dennoch oft das Gegenteil. Die Grünen sind der Natur verbunden, ob sie der Kultur genauso grün sind, entscheidet sich von Person zu Person. Unter lauter Naturschützern einen einzigen Kunstfreund finden, das ist ein Problem.

Und die Linke? Sie pflegt schließlich schon allein in der Person ihres Führungspersonals ein intellektuelles Image. Ihr waches Auge gilt neben den sozial Benachteiligten auch jenen, die schöpferische Initiativen ergreifen. Sie war für die Mehrheit der Künstlerschaft immer schon wählbar. Aber was tut sie dafür? Erkennt wenigstens sie die Gefahren, nennt sie beim Namen - und wagt sie, ihnen zu wehren?

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