Lufthoheit im Kampfwahlkreis

Explodierende Mieten und Fluglärm sind dominierende Themen für die Direktkandidaten in Pankow

  • Stephan Fischer
  • Lesedauer: 4 Min.

U-Bahnhof Vinetastraße, kein Reiseführerziel, dafür typische Berliner Kulisse: Straßenlärm, Straßenbahnen und Busse im Minutentakt, unter den Füßen vibriert es, wenn Züge der U2 passieren, über den Köpfen alle 90 Sekunden Flugzeuge im Anflug auf Tegel. Der Blick in den Himmeln bleibt oft genug an den Wahlplakaten der Parteien hängen. Die Direktkandidaten des Wahlkreises 76, Berlin-Pankow, schauen die Bürger an. Stefan Liebich, Direktkandidat der LINKEN, gleich viermal und damit am häufigsten. Die Lufthoheit über dem Platz hat er schon einmal.

Hier spricht er heute die Bürger persönlich an, vor einem Sonnenstudio bauen Helfer seinen Stand auf, schwärmen gleich über den ganzen Platz aus. Stefan Liebich geht sofort auf die Passanten zu, fast alle bleiben stehen und lassen sich die rote Tüte mit Prospekten und Stiften in die Hand drücken. Das Lächeln und die lockere Art kommen gut an, ein Passant sagt: »Ich wähle Sie sowieso!« Der Angesprochene erwidert schlagfertig: »Dann können Sie ja noch einmal nachlesen, warum!«

Thomas Obst (73) steht zufrieden hinter dem Wahlkampfstand. Seit den frühen Neunzigern ist er im Wahlkreisaktiv dabei: »Insgesamt sind die Menschen nett und freundlich, wir werden auch nicht mehr über Gebühr beschimpft, wie es früher teilweise der Fall war.« Währendessen drückt er immer wieder Radfahrern, die hinter dem Stand an der Ampel stehen Prospekte in die Hand. »Die Stimmung ist natürlich gut, vor allem seit der letzten Umfrage, in der wir bundesweit vor den Grünen stehen«, ergänzt er. Es regnet nicht, es sind mehr Helfer als geplant gekommen: Für die Freiwilligen an der Basis ein guter Termin.

Pankow ist ein Bezirk, der vielen Veränderungen unterworfen ist, unterschiedliche Kieze vereint. Den nicht mehr so ganz hippen durchgentrifizierten Prenzlauer Berg genauso wie das ruhige Buch, Einfamiliensiedlungen in Rosenthal wie das Komponistenviertel in Weißensee, wo die Baulücken jetzt auch mit teuren Eigentumswohnungen geschlossen werden. Verschiedene Kieze, aber ein Problem: Wohnen in Pankow wird überall teurer: »Das alles überlagernde Thema sind die Mieten. Vor allem in Prenzlauer Berg, aber auch mehr und mehr in Pankow und Weißensee. Viele beklagen sich, dass die Mieten explodieren, dass sie keine bezahlbaren Wohnungen mehr finden. Wir haben Vorschläge für ein neues Mietrecht, setzten uns für neuen sozialen Wohnungsbau ein«, erläutert der 40-jährige Liebich, der den Wahlkreis bei der letzten Bundeswahl 2009 gegen Wolfgang Thierse (SPD) gewonnen hatte.

Das zweite große Thema donnert knapp über den Dächern. Die ewigen Verzögerungen beim Flughafenneubau in Schönefeld sorgen für mehr Flugverkehr von und nach Tegel. »Es ist unglaublich laut, es sind auch mehr Flugzeuge geworden. Die Leute sehnen endlich herbei, dass der neue Flughafen eröffnet wird. Ich habe vorgeschlagen, dass es für die Bewohner im Umkreis eine Entschädigung gibt wie in Frankfurt am Main.«

Die Schuldenbremsen in Bund und Ländern, die überfällige Investitionen in Infrastruktur und Bildung verhindern; aber auch der Syrienkonflikt sind weitere Themen, auf die der seit 1983 in Berlin Lebende immer wieder angesprochen wird. Als Mitglied des Auswärtigen Ausschuss im Bundestag ist es ihm wichtig, die klare Ablehnung der Linkspartei zu Kampfeinsätzen der Bundeswehr herauszustellen. »Und weil wir da sehr klar sind, gibt es da auch viel Zuspruch«.

Zwei Podiumsdiskussionen hat Stefan Liebich an diesem Tag schon hinter sich, jetzt macht er sich bereits auf den Weg zum nächsten Termin. Pankow ist ein Kampfwahlkreis, jeder der vier Direktkandidaten der LINKEN, Grünen, SPD und CDU könnte ihn mit nur einem Viertel der Stimmen gewinnen. Die vielen Zuzüge machen Prognosen schwierig, es kommt auf jede Stimme an. Um diese wirbt Stefan Liebich seit Wahlkampfbeginn bei unzähligen Terminen. »Es wird knapp, aber es kann wieder klappen.« Thomas Obst ist optimistisch: »Die Chancen sind ganz gut, weil die anderen Kandidaten hier nicht so bekannt sind.« Es bleibt bis zum Wahlsonntag spannend, ob aus der Lufthoheit am Platz am Ende ein Direktmandat für Stefan Liebich wird.

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