Protest im »Eldorado für Reiche«
Tausende gingen für Millionärssteuer auf die Straße
In Bochum und Berlin demonstrierten am Samstag Tausende für eine gerechtere Steuerpolitik zugunsten von Kommunen, sozialer Infrastruktur und von Armut Betroffener. In der Hauptstadt bildeten - je nach Zählweise - 1200 bis 3000 Demonstranten eine Menschenkette im Regierungsviertel, bei der sie symbolisch »Geldsäcke« ablegten, um das »Geld« einer gemeinwohlorientierten Verwendung zuzuführen. Nach Polizei- wie Veranstalterangaben rund 12 000 Menschen zogen trotz schlechten Wetters in einem dreizackigen Sternmarsch durch die Bochumer Innenstadt und zu einer Abschlusskundgebung vor dem Bergbaumuseum.
Dort geißelte Hauptredner Frank Bsirske, Chef der ver.di.-Dienstleistungs-Gewerkschaft, in einer kämpferischen Rede steigenden Reichtum in den Händen weniger. Längst sei Deutschland ein »Eldorado für Superreiche«, deren Vermögen oft durch keinerlei eigene Leistung legitimiert sei. So habe Deutschlands reichste Frau, die Erbin Susanne Klatten, 2011 ihr Vermögen täglich zum guten Teil durch Aktiendividenden um zweieinhalb Millionen Euro gemehrt.
Der Gewerkschafter kritisierte »Steuergeschenke für Reiche und Superreiche« in den Amtszeiten Gerhard Schröders und Angela Merkels. Der SPD-Kanzler und die CDU-Kanzlerin hätten nach dem Motto »Wer hat, dem wird gegeben« agiert. Heute würde der deutsche Staat jährlich 70 Milliarden Euro mehr einnehmen, wenn er große Vermögen und Erbschaften sowie Unternehmensgewinne nach EU-Durchschnitts-Sätzen besteuern würde.
Zu allem Überfluss würde Merkel Arbeitnehmer, Arbeitslose und Rentner auffordern, den Gürtel noch enger zu schnallen. »Doch es muss endlich Schluss sein mit der Umverteilung von unten nach oben«, rief Bsirske.
Das UmFAIRteilen-Bündnis fordert eine dauerhafte Vermögenssteuer für Reiche und eine einmalige Vermögensabgabe bei einem Freibetrag von einer Million Euro.
Migranten seien dreimal stärker von Armut betroffen als Alteingesessene, sagte die LINKE-Politikerin und Vorsitzende der Föderation Demokratischer Arbeitervereine (DIDF), Özlem Demirel. Die Zahl Pfandflaschen sammelnder Rentner nehme zu. »Das ist ein Armutszeugnis für ein reiches Land«, monierte die türkischstämmige Politikerin.
»Deutschland ist das fünftreichste Land der Welt, hat aber eine Vermögensverteilung, die wir nicht nur als ungerecht, sondern als obszön empfinden«, betonte Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Schneider macht, was die soziale Infrastruktur betrifft, ein Investitionsdefizit von 50 Milliarden Euro pro Jahr aus. In vielen Bereichen fahre der Sozialstaat bereits jetzt gegen die Wand.
Vor Journalisten zog der Sozialfunktionär eine positive Zwischenbilanz der Kampagne »UmFAIRteilen«. So habe sie drei wesentliche Ziele erreicht: Steuerpolitik stünde auf der Wahlkampfagenda, über Ungerechtigkeit habe man aufzuklären vermocht und Reichtum wie Umverteilung würden nicht länger tabuisiert.
»Dem Bündnis ist es im Laufe der Kampagne gelungen, eine ganz breite Zustimmung zu unseren Forderungen zu erlangen«, resümierte Schneider mit Blick auf die Ergebnisse von (allerdings selbst in Auftrag gegebenen) repräsentativen Umfragen. Alle Parteien stünden in der Pflicht, »diesem überwältigenden Mehrheitswillen Rechnung zu tragen«.
Sie sollten dies auch im Eigeninteresse tun, glaubt Schneider. Schließlich seien noch 30 Prozent der Wahlberechtigten unentschlossen, für welche Partei sie am kommenden Sonntag stimmen werden. Und bei diesen Unentschlossenen spielten Verteilungs- und Gerechtigkeitsfragen eine überproportional wichtige Rolle.
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