Afrikas Politikern fehlt es an Visionen

Historiker Stephen Ellis über verpasste Chancen und mögliche Zukunftsperspektiven auf dem Kontinent

  • Lesedauer: 4 Min.
Stephen Ellis ist Afrikawissenschaftler und Historiker. Ellis hat an der Universität von Amsterdam den Desmond Tutu Lehrstuhl inne. Er forscht zudem im Afrikazentrum in Leiden und veröffentlichte zuletzt den Band »Season of Rains: Africa in the World« (Regenzeiten: Afrika in der Welt). Mit Ellis, der zu den wichtigsten Kennern Afrikas zählt, sprach für »nd« Armin Osmanovic.

nd: Ihr Buch »Season of Rains. Africa in the World« liest sich als eine eher optimistische Bestandsaufnahme der Lage Afrikas und seiner Menschen. Woran machen sie Ihren Optimismus fest?
Ellis: Zunächst muss ich vorausschicken, dass ich das Buch im Jahr 2010 geschrieben habe. Damals war ich etwas optimistischer als heute, was die Entwicklung Afrikas anbelangt. Leider muss ich feststellen, dass Afrika die bestehenden Chancen für eine bessere Entwicklung nicht wirklich nutzt. Zur Zeit fließt so viel Geld nach Afrika wie seit der Unabhängigkeit der meisten Staaten in den 1960er Jahren nicht. Heute gibt es jede Menge Universitätsabsolventen, die ein Land regieren und verwalten können, jede Menge Ingenieure und Ärzte, vor allem in den großen Ländern wie Nigeria oder Ghana. An all diesen Fachkräften gab es nach der Unabhängigkeit noch großen Mangel. Zudem haben viele im Ausland in Europa oder den USA studiert. Mangelnde Erfahrung und Kenntnisse sind heute nicht mehr die Probleme Afrikas.

Wie lassen sich die aktuellen Probleme beschreiben?
Ach, wie überall in der Welt sind die Politiker in Afrika nur wenig an langfristigen Entwicklungen interessiert. Der Unterschied ist aber, dass in Europa die Leute in der Verwaltung langfristig denken und die Politik dazu drängen, längerfristig zu planen. In Afrika agiert die Verwaltung zu wenig eigenständig und in der Politik gibt es kaum Visionen. Auch die Akademiker und Journalisten in Afrika spielen leider eine negative Rolle. Sie fordern ihre Politiker zu wenig heraus, fragen nicht genug nach den Fehlern und Versäumnissen der Politik.

Wie erklären Sie sich das?
Irgendwie haben sich die Intellektuellen nicht genug von den alten Ideen aus den Zeiten des Kalten Krieges emanzipiert. Immer noch werden die alten Dependenztheorien verfolgt, wonach Afrikas Entwicklung vor allem aufgrund der Abhängigkeit vom Westen zu erklären sei oder mehr noch Europa willentlich Afrika in der Unterentwicklung halte. Es gibt leider außer in Südafrika nur wenige gute Universitäten, daher gibt es nicht genügend Intellektuelle, welche die Politiker mit relevanten Fragen herausfordern.

Wohin fließt das viele Geld in Afrika?
Das meiste Geld aus dem Ausland fließt in den Rohstoffsektor, vor allem in den Bereich Erdöl und Erdgas. Aber auch der Dienstleistungsbereich, Finanzen und Handel sind interessant für ausländische Investoren. Wo das Kapital aber nicht hinfließt, ist in die Industrie. Der Anteil der Industrie am Bruttoinlandsprodukt sinkt sogar. Die Entwicklung, die Europa im 19. Jahrhundert unternahm, als Menschen aus den ländlichen Räumen in die Städte wanderten und dort in der Industrie Beschäftigung fanden, wiederholt sich in Afrika nicht. Ähnliches geschah und geschieht in China und wir würden eine solche Industrialisierung auch in Afrika erwarten, doch es passiert nicht. Die Zuwanderung in die Städte, die wir auch in Afrika erleben, läuft anders ab. In Afrikas Städten gibt es keine oder nur kaum Fabriken.

Woran liegt das Ausbleiben der Industrialisierung?
Am Faktor Arbeit liegt es nicht, Arbeit ist in Afrika billiger als in China. Afrikas Regierungen machen nichts aus den Möglichkeiten und noch zu oft ist die Infrastruktur schlecht. Wie sollte man eine Fabrik ordentlich führen, wenn es keinen Strom gibt. Die politische Instabilität in vielen Teilen des Kontinents ist ein anderes Problem. In Madagaskar gab es eine erfolgreiche Textilexportproduktionszone, die vor allem von asiatischen Investoren geführt wurde. Man profitierte von der USA-Handelsinitiative für Afrika AGOA. Doch 2009 nach dem Staatsstreich gegen Marc Ravalomanana wurde die Mitgliedschaft Madagaskars von den USA ausgesetzt. Alle Fabriken wurden geschlossen und die Arbeiter sind arbeitslos. Was die Industrialisierung anbelangt, bin ich wenig optimistisch.

Wo liegt dann Afrikas wirtschaftliche Zukunft?
Die Landwirtschaft scheint mir vielversprechender als die Industrie. Die Welt schaut nach Afrika, um mehr Nahrungsmittel für die wachsende Weltbevölkerung zu produzieren. In Afrika gibt es noch viele unzureichend bestellte Flächen. Mit den richtigen Maßnahmen, der Unterstützung mit Düngemittel und Saatgut, wie in Malawi geschehen, könnten die Kleinbauern profitieren und Afrikas landwirtschaftliche Entwicklung vorantreiben. Es könnten aber auch große Plantagen entstehen, wo die Mehrheit der Afrikaner auf dem Land als Lohnabhängige arbeiten. Das ist auch denkbar. In Kenia ist mir wiederum ein anderes Modell bekannt. Dort gibt es chinesische Investoren, die eine Modellfarm zur Bioethanolproduktion aufgebaut haben, und nun lokale Bauern darin trainieren und mit Saatgut unterstützen, ebenso zu produzieren. Lokale Bauern werden in diesem Beispiel nicht von ihrem Land vertrieben. Die Vertreibung vieler Menschen von ihrem Land ist eine explosive Frage in Afrika. Was immer man auch an Modellen verfolgen will, auch große Genossenschaften sind denkbar, man braucht aber einen klaren Plan und Visionen, wie man Afrikas Landwirtschaft entwickeln will, doch daran fehlt es Afrikas Politikern.

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