Lichtenberg ist keine Insel
Direktkandidaten von CDU bis SPD versuchen die Vorherrschaft der LINKEN in Berliner Ostbezirken zu brechen
Gesine Lötzsch setzt alles auf den Sieg der Grünen - zumindest, so lange es um den sportlichen Wettstreit geht. Ein Bowlingcenter in der Nähe des Lichtenberger Betriebsbahnhofs der Berliner Verkehrsbetriebe. Der Betreiber lädt in Zusammenarbeit mit dem Bezirksamt und verschiedenen Einrichtungen für geistig behinderte Menschen zu einem Wohltätigkeitsturnier. Die teilnehmenden Teams setzen sich zur Hälfte aus Berliner Politikern und Sportlern mit geistigen Handicap zusammen. Ein klassischer Wahlkampftermin ist solch ein Turnier nicht.
Statt die politische Konkurrenz beim Bowling nach Punkten zu besiegen, ist Zusammenarbeit gefragt. So spielt die LINKEN-Politikerin Gesine Lötzsch gemeinsam mit der Abgeordneten Nicole Ludwig (Grüne) sowie den beiden Medaillengewinnern bei den Special Olympics World Games 2003, Sven Gransee und Dirk Quade, im grünen Team um den Sieg. Große Erfahrungen beim Bowling bringt Lötzsch nicht mit, wie sie gesteht. Ihre Leistung fällt daher auch durchwachsen aus: Während beim ersten Versuch fast alle Kegel, die beim Bowling Pins heißen, umfallen, geht so manche Kugel auch daneben. Sportlich spielt Lötzschs Ergebnis aber in diesem Wettstreit keine Rolle. Egal, welche der vier Mannschaften gewinnt, immer hat ein Vertreter der LINKEN seinen Anteil am Sieg. Die Partei, so zeigt es nicht nur dieses Wohltätigkeitsturnier, ist in Lichtenberg gut vernetzt und allgegenwärtig. So stellt die LINKE in der Bezirksverordnetenversammlung mit 20 von insgesamt 55 Mandaten die größte Fraktion.
Da wundert es kaum, wenn der »Tagesspiegel« von Lichtenberg als »Lötzschland« titelt und Leute auf der Straße die Politikerin die »Mutti des Bezirks« nennen. Diese Stellung im Bezirk ist Ergebnis jahrlangen konsequenten Engagements vor Ort, weiß Lötzsch. Dass sie die Verhältnisse in Lichtenberg gut kennt, dürfte niemand ernsthaft der 52-Jährigen streitig machen. Gesine Lötzsch wuchs im Bezirk auf und lebt bis heute dort.
Bei der politischen Konkurrenz hört man solche Aussagen erwartungsgemäß eher ungern. Stattdessen versuchen SPD, CDU und Grüne eine Wechselstimmung im Bezirk herbeizureden. Ihre Theorie: Lichtenberg habe sich in den vergangenen Jahren durch Zuzug von außerhalb stark verändert, währenddessen die Wählerklientel der LINKEN langsam wegsterbe. Gemeint ist mit dieser, im Unterton leicht verächtlichen Aussage, vor allem die Gruppe der Ostrentner.
Doch allein die Statistik spricht gegen diese Theorie. Während Lötzsch das Direktmandat 2002 erstmals mit 39,6 Prozent der Erststimmen errang, steigerte sich dieser Wert mit jeder Bundestagswahl auf zuletzt 47,5 Prozent. Nach Petra Pau in Marzahn-Hellersdorf holte Lötzsch damit bundesweit das stärkste Erststimmenergebnis für die LINKE. Auch am Sonntag dürfte die Verteidigung der Hochburg gelingen.
Lötzsch bestreitet jedenfalls nicht, dass sich im Bezirk etwas ändert. »Lichtenberg ist keine Insel«, erklärt die zeitweilige Bundesvorsitzende der LINKEN. Viele Veränderungen hätten aber bereits in den Neunziger Jahren stattgefunden. Derzeit seien es vor allem zwei Gruppen, die nach Lichtenberg ziehen. Während sich die Einen die extrem steigenden Mieten in den innerstädtischen Bezirken nicht mehr leisten können, bezieht die andere Gruppe neu entstandene Eigenheime, beispielsweise an der Rummelsburger Bucht. Nachdem Lichtenberg bis 2005 mit einem Bevölkerungsrückgang kämpfte, wächst der Bezirk seitdem wieder. Darunter seien viele Rückkehrer, meint Lötzsch, aber auch zu vielen neu Hinzugezogenen habe sie gute Kontakte. »Insofern erschließt sich mir die These der anderen Parteien nicht«, argumentiert die Politikerin.
Thematisch setzt sie wenig überraschend auf das Thema Mietpreise. Auch vor Lichtenberg macht diese Problematik nicht halt. Für ein Verbot von Mietpreiserhöhungen bei Neuvermietungen setzt sich Lötzsch genauso ein, wie für die Deckelung der Kosten bei Modernisierungen. Sind die Kosten für eine Maßnahme durch eine höhere Miete wieder reingeholt, müsste die Miete anschließend wieder sinken, fordert die 52-Jährige.
Doch auch die LINKEN-Politikerin konnte im Wahlkampf etwas hinzulernen. »Mich hat überrascht, dass sich junge Leute sehr für das Thema Rente interessieren«, erzählt Lötzsch. Größte Herausforderung im Wahlkampf seien allerdings die Nichtwähler. Mit klassischen Straßenwahlkampf am Infostand erreicht die Politik diese Gruppe nicht. Lötzsch erinnert sich an eine Frau, die ihr erzählte, sie würde erst wieder wählen, wenn die Ost- an die Westrenten angeglichen seien. »Ich habe ihr versucht zu erklären, dass sie sich mit ihrer Entscheidung nur selbst schadet und auf diese Weise nichts am Problem ändert«, sagt Lötzsch.
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