Stoischer Trotz in Damaskus

Eindrücke und Gespräche aus diesen Tagen in der syrischen Hauptstadt

  • Karin Leukefeld, Damaskus
  • Lesedauer: 5 Min.

Das Wetter hat sich geändert in Damaskus. Begleitet von einer kühlen morgendlichen Brise steigt die Sonne jeden Morgen später über der von Kämpfen zerrüttenden östlichen Ghouta empor. Ventilatoren und Klimaanlagen bleiben aus, morgendliche Stromabschaltungen sind leichter zu ertragen. Die Nacht senkt sich früh über das drangsalierte Land, die Menschen wollen vor Dunkelheit in ihren Wohnvierteln sein, die Innenstadt von Damaskus leert sich schnell. Zurück bleiben Obdachlose und Bettler, die am Straßenrand Kartons mit Süßigkeiten oder Taschentüchern anbieten, manche halten einfach nur ihre Hand auf. Dann suchen sie in einer der vielen Parkanlagen oder im Schatten der Nebenstraßen einen geschützten Platz für die Nacht.

Auch das Leben in Damaskus hat sich geändert. Die Geschäfte schließen früh, Cafés und Restaurants haben sich nach mehr als zwei Jahren Krieg an die wenigen Kunden gewöhnt. Im April 2011 hatte Präsident Baschar al-Assad auf Drängen der Protestbewegung den langjährigen Ausnahmezustand aufgehoben. Doch der Krieg hat das Leben in einen noch härteren Ausnahmezustand versetzt.

Vor offiziellen Gebäuden und an Straßenkontrollen der Hauptstadt sind Soldaten und Sicherheitskräfte verschiedener Geheimdienste postiert, Fußgänger werden von Männern in Zivil kontrolliert, Taschen müssen vorgezeigt werden. Man könnte die Männer für Arbeiter nach Feierabend halten, wären sie nicht bewaffnet. Die Wächter unterhalten sich bei Zigaretten und Tee oder tauschen Scherze mit den Vorbeigehenden aus, als seien sie Freunde oder Verwandte. Manch ein Fußgänger blickt zu Boden oder eilt mit müdem, skeptischem Gesicht vorbei. Nächtliche Stadtbummel durch die hell erleuchteten Einkaufsstraßen und Basare von Damaskus gehören der Vergangenheit an.

»›C’est la vie‹, würde der Franzose sagen«, meint Nabil M., ein pensionierter Agraringenieur. Man könne nichts tun, als sich dem Geschehen zu fügen. Früher ging Nabil spät am Abend schon mal mit Kollegen nach Midan, um in einem der traditionellen Restaurants »Sidjik«, einen mit Reis und Fleisch gefüllten Schafskopf zu verspeisen. Das habe er das letzte Mal vor drei Jahren gemacht, sagt er. Nun bleibe er zu Hause, wenn nicht Einkäufe getätigt oder Verwandte besucht werden sollen. Die Hochzeit einer Nichte hat er verpasst, weil an diesem Tag heftige Kämpfe den Weg nach Qutsaiya versperrten. Das ist nun fast ein Jahr her, und in Qutsaiya sind Inlandsvertriebene aus anderen Kampfzonen eingezogen.

Viele der neuen Einwohner von Qutsaiya kommen aus Daraya. Diese Satellitenstadt, in der vor dem Krieg mehr als 100 000 Menschen lebten, beginnt etwa fünf Kilometer westlich von Damaskus. Die Stadt zieht sich durch ehemalige Felder, Obst- und Olivenhaine, die immer neuen Häusern weichen mussten. Daraya wird in großen Teilen von Aufständischen kontrolliert, die sich tägliche Häuserkämpfe und Gefechte mit der syrischen Armee liefern. Vertriebene aus Daraya sind auch nach Jdeidet Artuz gezogen, wo Nabil M. mit seiner Familie wohnt. Früher konnte er Damaskus mit dem öffentlichen Nahverkehr in knapp 30 Minuten erreichen. Seit acht Monaten wird Muadamiya von den syrischen Streitkräften belagert, um eine Aufgabe der Aufständischen zu erzwingen.

Anfang August begann die Armee eine Offensive. Die Verbindungsstraße nach Damaskus, über die auch Nabil fahren konnte, wurde gesperrt. Heute braucht er für die Fahrt in die Stadt anderthalb Stunden, wenn er um sechs Uhr aufbricht. Acht Kontrollpunkte muss der Bus passieren, bevor er Damaskus erreicht. Jetzt, wo die Universität nach den Sommerferien wieder angefangen hat, werden die beiden Söhne von Nabil morgens und nachmittags ebenfalls diesen langen Weg hinter sich bringen müssen, um zu studieren. Wenn die Vorlesungen länger dauern, müssen sie bei Verwandten in der Stadt übernachten. Kaum ein Bus- oder Taxifahrer fährt in der Dunkelheit aus Damaskus heraus.

Hunderttausende haben ihre Häuser und Wohnungen in Douma, Harasta, Saida Zeyneb oder Daraya verlassen und Zuflucht im Zentrum von Damaskus gefunden. Samer K., der im Palästinenserlager Yarmuk für ein Mediennetzwerk und die Zeitung »Al Hurriya« (Die Freiheit) arbeitet, musste Yarmuk verlassen. Eigentlich wollte er nur seine Familie besuchen, die vor den Kämpfen in die Innenstadt geflohen war. Als er wieder nach Hause in Yarmuk zurückkehren wollte, verweigerte die Armee ihm »aus Sicherheitsgründen« den Zutritt. Die Tränen schießen Samer in die Augen, als er das erzählt. Verschämt wendet er sich ab und sagt dann mit zitternder Stimme: »Nie hätte ich das Lager verlassen, wenn ich gewusst hätte, dass sie mich nicht wieder zurücklassen.«

Während er spricht, sind etliche Kilometer entfernt laute Kampfgeräusche zu hören. Geschosse, die von den Stellungen der syrischen Streitkräfte auf dem Damaszener Hausberg Qassioun abgefeuert werden. Mörsergranaten, die von den Aufständischen in die Innenstadt geschossen werden. Ein lautes Krachen lässt vermuten, dass der Einschlagsort nicht weit entfernt liegt.

Unsicherheit, wachsende Kriminalität, Arbeitslosigkeit, Angst und Krankheit begleiten die Syrer durch jeden neuen Tag. Nach außen hin bleiben sie freundlich distanziert und hilfsbereit, noch. »Wir verschließen uns vor den anderen«, sagt Nabil M. und formt mit seinen Händen einen Kreis. »Die Familie ist der Kern der Gesellschaft, hier wird alles debattiert und beschlossen.« Was aber tun, wenn man sich nicht einig wird in der Familie? Wenn der eine den Militärschlag der Amerikaner herbeisehnt, während der andere auf Frieden hofft?

Anas A. hat durch die Kämpfe seine Apotheke in Douma verloren, nun wohnt er mit seiner Familie bei Verwandten in der Altstadt. »Lieber möchte ich von US-Raketen als von den eigenen Truppen getötet werden«, hatte er noch vor wenigen Tagen gesagt. Doch jetzt, wo der Militärschlag ausbleibt, ist er überzeugt, dass sich letztlich alle miteinander an einen Tisch setzen müssen. Die Vereinbarung zwischen Russland und den USA sei eine gute Sache, meint er: »Wir sehen ein Licht.« Pressekonferenzen in Genf oder Paris, Erklärungen aus London oder Berlin, selbst die Drohung eines Militärschlages durch die USA haben viele Menschen in Damaskus mit äußerlich stoischer Gelassenheit über sich ergehen lassen. »Das ganze Theater hat mit unserem Leben hier überhaupt nichts zu tun«, meint die Lehrerin Nadjwa H. in Damaskus. »Ein Leben haben wir hier schon lange nicht mehr.«

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