Pädophilie-Debatte: Trittin wirft Union Schmutzkampagne vor
Bericht: Grüne standen länger als bisher bekannt in Kontakt mit einer Pädophilen-Organisation / SPD fürchtet Auswirkung auf rot-grünes Wahlergebnis
Hamburg (Agenturen/nd). Der Spitzenkandidat der Grünen, Jürgen Trittin, hat der Union in der Pädophilie-Debatte eine Schmutzkampagne vorgeworfen. »Wir lassen uns 25 Jahre, nachdem wir mit dieser falschen Politik gebrochen haben, nicht von Leuten aus der Union als Pädo-Kartell oder Ähnliches denunzieren«, sagte Trittin am Mittwochabend bei einer Wahlkampfkundgebung der Grünen in Hamburg.
Natürlich habe die Partei zu lange eine falsche Haltung zum sexuellen Missbrauch von Kindern eingenommen. Aber sie habe daraus gelernt und sich später gegen Gewalt gegen Kinder und für die Bestrafung von Vergewaltigung in der Ehe eingesetzt - im Gegensatz zu Mitgliedern der Union. Diese meinten heute, sie könnten die Grünen über ihre Fehler belehren, sagte Trittin.
Nach einem Bericht des Hamburger Magazins »Stern« standen die Grünen weitaus länger in Kontakt mit einer Pädophilen-Organisation als bisher bekannt. Die Grünen im niedersächsischen Landtag hätten sich noch im Sommer 1989 offen gegenüber den Forderungen Pädophiler gezeigt. Vertreter der Landtagsfraktion, deren Vorsitzender damals Trittin war, hätten damals in Kontakt mit der Arbeitsgemeinschaft Humane Sexualität (AHS) gestanden.
Am 20. Juli 1989 hätten drei AHS-Vertreter eine Einladung der Grünen nach Hannover angenommen und die beiden Landtagsabgeordneten Peter Hansen und Marion Schole getroffen. Zuvor habe die AHS den Grünen ihr Papier zur Sicherungsverwahrung von Sexualstraftätern im Strafvollzug geschickt. Der »Stern« berief sich in seinem Bericht auf eine Broschüre der AHS.
Die Pädophilie-Debatte der Grünen beschäftigt inzwischen auch den Hamburger Landesverband der Partei. Im Wahlprogramm für die Bürgerschaftswahl 1982 setzten sich die Grünen dafür ein, Sex mit Kindern nicht generell zu bestrafen. Die Veröffentlichungen des Parteienforschers Franz Walter hätten den Landesverband darauf aufmerksam gemacht, sagte eine Grünen-Sprecherin am Mittwoch. Anschließend sei nach den entsprechenden Dokumenten gesucht worden. Im Wahlprogramm 1986 komme die Forderung allerdings nicht mehr vor. Die Vorgänge sollen nun aufgeklärt werden. Zuvor hatte das »Hamburger Abendblatt« darüber berichtet.
»Für mich und die Partei sind solche Forderungen, wie sie vor 30 Jahren erhoben wurden, jenseits von Gut und Böse und absolut nicht zu rechtfertigen«, sagte Hamburgs Landeschefin Katharina Fegebank der Zeitung. Die Grünen hatten im Mai den Göttinger Parteienforscher Walter gebeten, den Einfluss von Pädophilie-Befürwortern bei den Grünen auf den Grund zu gehen. Mitte August schrieb er in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«, dass sich in der Vergangenheit einige Landesverbände für die Entkriminalisierung von Pädophilie eingesetzt hatten - unter anderem der Hamburger.
In der SPD wird nunmehr befürchtet, dass sich die Pädophilen-Debatte auf das Abschneiden der Grünen bei der Bundestagswahl am Sonntag auswirken könnte. »Das ist natürlich jetzt ein paar Tage vor der Wahl auch etwas, was die Menschen bewegt und jedenfalls keinen Zulauf für die Grünen organisiert«, sagte SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier am Mittwoch im Deutschlandfunk.
Der Vorgang sei für die Grünen »ausgesprochen unangenehm«, sagte Steinmeier. Er würdigte zugleich die Aufklärungsarbeit der Partei. Er verstehe das Bemühen »um schnellstmögliche und gründlichste Aufklärung der Vorwürfe«. Er habe Respekt vor der Art und Weise, wie Grünen-Spitzenkandidat Jürgen Trittin öffentlich Fehler eingeräumt habe. Die Grünen hätten damals »gefährlichen Unsinn behauptet« und »das auch noch in Parteiprogramme hineingeschrieben«. Trittin persönlich habe sich aber »von dieser Vergangenheit glaubwürdig distanziert«.
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