Eintritt in den VIP-Raum des Fußball-Ostens

Vor 40 Jahren wurden in der DDR zehn eigenständige Fußballklubs gegründet / Die BSG waren chancenlos

  • Matthias Koch
  • Lesedauer: ca. 3.5 Min.
In diesen Tagen vor 40 Jahren gab es einschneidende Veränderungen im DDR-Fußball: Zwischen dem 20. Dezember 1965 und dem 26. Januar 1966 wurden zehn selbstständige Fußballklubs gegründet. Die bis dahin bestehenden Fußball-Abteilungen in den Sportklubs wurden damit praktisch aufgelöst.
Die »Neue Fussball-Woche« berichtete am 7. Dezember 1965 über den gleichlautenden Beschluss der Präsidien des Deutschen Turn- und Sportbundes sowie des Deutschen Fußball-Verbandes der DDR zur Bildung von Fußballklubs.

Sportliches Niveau erhöhen
»Im Interesse der weiteren Steigerung der sportlichen Leistungen des Fußballsports in der Deutschen Demokratischen Republik werden ab 1. Januar 1966 die Fußballsektionen aus den bestehenden Sportklubs der DDR herausgelöst. In den Städten Berlin, Leipzig, Karl-Marx-Stadt, Jena, Erfurt, Halle, Magdeburg, Rostock und bei den Sportvereinigungen Vorwärts und Dynamo werden je ein Fußballklub, das heißt, eine Gemeinschaft, in der nur Fußballmannschaften vereinigt sind, gebildet. Die anderen Fußballsektionen der Sportklubs werden in starke Betriebsportgemeinschaften ihres Ortes eingegliedert«, heißt es in der Verlautbarung.
Das Licht der Welt erblickten: 1. FC Union Berlin (damals DDR-Liga, Staffel Nord), 1. FC Lok Leipzig, FC Karl-Marx-Stadt, FC Carl Zeiss Jena, FC Rot-Weiß Erfurt, Hallescher FC Chemie, 1. FC Magdeburg, FC Hansa Rostock, BFC Dynamo und FC Vorwärts Berlin. Der 1. FC Union Berlin bekam den Klubstatus ohnehin nur, damit in der Hauptstadt neben dem BFC Dynamo und Vorwärts Berlin auch ein ziviler Klub existiert.
»Mit diesen Maßnahmen berücksichtigten beide Präsidien die Besonderheiten des Fußballs und seine fortschreitende Leistungsentwicklung im europäischen und im Weltmaßstab. Es sollen noch bessere Leistungen geschaffen werden, um das Niveau und die Leistungen der DDR-Oberligamannschaften zu heben und der Entwicklung der DDR-Auswahlmannschaften ein noch breiteres und festeres Fundament zu geben«, heißt es weiter im Beschluss.
Um das zu erreichen, sollen bei den Klubs und den Oberligagemeinschaften ohne Klubstatus - das waren in der Saison 1965/66 Chemie Leipzig, Motor Zwickau, Wismut Aue, Lok Stendal und Dynamo Dresden - bis zu vier Männer-, sechs bis zehn Jugend- und Junioren- sowie zehn bis 15 Knaben- und Schülermannschaften entstehen.

Spreu vom Weizen getrennt
Allerdings wurde sehr schnell deutlich: Mit dem Beschluss, der auf eine Konzentration im Fußball abzielte, wurde die Spreu vom Weizen getrennt. Die meisten Klubs wurden seitens des Fuballverbandes gegenüber den BSG bevorzugt - insbesondere bei der Delegierung von Talenten und renommierten Spielern. Insgesamt gesehen war die Klubgründung die Eintrittskarte sozusagen in den VIP-Raum des Fußball-Ostens. So ist es auch kein Zufall, dass bis zur Wiedervereinigung die DDR-Meister inklusive der Saison 1990/91 fast ausschließlich aus dem Kreis der Klubs kommen. Nur die eine Sonderrolle einnehmende SG Dynamo Dresden brach sieben Mal in diese Phalanx ein.
Ähnlich sieht es im FDGB-Pokalwettbewerb aus. Klammert man Dynamo Dresden aus, konnten sich die Underdogs nur noch 1966 (BSG Chemie Leipzig), 1967 und 1975 (BSG Motor beziehungsweise Sachsenring Zwickau) gegen das Übergewicht der Klubs behaupten. Fast logisch kamen aus den neuen Klubs auch die meisten Nationalspieler. Dabei stellten - einschließlich ihrer Vorläufer - der BFC (36), Dynamo Dresden (34), Jena (32), 1. FC Lok Leipzig (27), Vorwärts Berlin/Frankfurt (25) und Magdeburg (23) das Gros.
In punkto Klassenerhalt führten die Klubgründungen in der Regel ebenfalls zwangsläufig zu einem längeren Aufenthalt in der Oberliga. Jena und Magdeburg (nach Abstieg 1966 und Wiederaufstieg 1967) stiegen bis 1989/90 nicht mehr ab. Der BFC Dynamo (1967/68 in der Liga), Erfurt (1966/67 und 1971/72), Lok Leipzig (1969/70), Karl-Marx-Stadt/Chemnitz (1970/71) und Vorwärts Berlin/Frankfurt (bis 1988/89 nur 1978/79) kickten nach dem Abstieg nur jeweils ein Jahr unterklassig.
Lediglich den HFC Chemie (1973/74 und zwischen 1984 und 1987 in der DDR-Liga), den FC Hansa Rostock (1975/76, 1977/78, 1979/80 und 1986/87) sowie die Fahrstuhlmannschaft des 1. FC Union Berlin erwischte es länger.
Der Fußball-Beschluss hatte aber auch Verlierer. Die BSG mussten sich auf den Kampf David gegen Goliath einstellen. Sie konnten nur auf die Kader zurückgreifen, die durch das Talentesieb aller anderen im DDR-Sportsystem besonders geförderten Sportarten gefallen waren. Dass BSGen wie Motor/Sachsenring Zwickau (1967/3. Platz, 1971/6.), Chemie Leipzig (1970/4.), Stahl Riesa (1975/6.) Wismut Aue (1976/6., 1985/4., 1987./4.), und Stahl Brandenburg (1986/5., 1988/4.) nach 1966 zeitweise mit den Klubs mithalten konnten, bestätigte die Ausnahme von der Regel.
Um den Anhängern eine Identifikationsmöglichkeit zu geben, wurde »den fußballinteressierten Bürgern die Möglichkeit gegeben, sich als fördernde Mitglieder einem der neu entstandenen Fußballklubs beziehungsweise Oberligamannschaften anzuschließen«, heißt es weiter in dem intern bereits im August 1965 verabschiedeten Beschluss. In der Praxis war dieses Mitspracherecht aber eher gering.

Begrenzter Durchbruch
Sportlich gesehen gab es durch den Konzentrationsbeschluss durchaus einen gewissen Leistungsanstieg im DDR-Fußball, wie der Europacupsieg des 1. FC Magdeburg (1974) und das Vordringen ins europäische Cupfinale durch den FC Carl Zeiss Jena (1981) und den 1. FC Lok Leipzig (1987) sowie die olympischen Medaillengewinne in Tokio 1964 (Bronze), München 1972 (Bronze) und Montreal 1976 (Gold) und die erste WM-Teilnahme 1974 belegen. Allerdings blieb ein wirklich dauerhafter Durchbruch...

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