Walesa bleibt Walesa und wird 70

Neuestes vom »größten Elektriker aller Zeiten«

  • Julian Bartosz, Wroclaw
  • Lesedauer: 3 Min.
Mit sich selbst ist er zufrieden, mit der übrigen Welt selten. Deshalb äußert Lech Walesa des öfteren originelle Ideen zu deren Verbesserung.

Neulich stand er wieder mal im grellen Rampenlicht und grüßte das enthusiastisch jubelnde Publikum mit dem Victory-Zeichen. Lech Walesa, allein und zufrieden hoch auf der Bühne, genoss den Beifall. So wie es sich gehöre, ließ er Journalisten später wissen.

Das war während des jüngsten Filmfestivals in Venedig, wo Andrzej Wajdas neuer Streifen »Człowiek nadziei« (Mann der Hoffnung) außerhalb des Wettbewerbs aufgeführt wurde. Der bekannte Filmemacher sagte in einer Pressekonferenz, Lech Walesa sei »der Held seiner Zeit« gewesen. Das wiederum gefiel diesem gar nicht sehr. Was heißt »seiner Zeit«? Walesa nimmt für sich in Anspruch, auch heute ein Held genannt und als solcher verehrt zu werden.

In Polen sind derart Ehrungen allerdings rar geworden. Monoton klingt seit längerer Zeit sein Klagelied, man wolle ihn nicht mehr erhören. Trotzdem sei er - wie er unlängst der »Gazeta Wyborcza« sagte - mit sich selbst zufrieden. Schade nur, dass er seine Träume »zu niedrig« angesetzt habe. Was er sich vorgenommen hatte, nämlich den Polen die Freiheit zu geben, wurde zwar erreicht, doch sei das zu wenig. Ja, Polen müsse zum Euroland werden, doch auch das sei nicht genug. Ein Globoland schwebe ihm vor: alle Menschen mit demselben Geld.

Der am 29. September 70 Jahre alt werdende ehemalige Arbeiterführer, »Solidarnosc«-Chef, Friedensnobelpreisträger und Staatspräsident versteht sich nach wie vor als »Individualität«. Und das kann man dem »größten aller Elektriker« bei Gott nicht absprechen. Noch ziemlich rüstig, bereist er die Welt und erzählt für Zigtausend Dollar Honorar, wie er den Kommunismus bezwungen und die Freiheit erkämpft habe. Und »in der Welt« nimmt man ihm das erstaunlicherweise ab und wertet es nur selten als Prahlerei. Wie grotesk seine Ideen auch erscheinen mögen: Walesa bleibt Walesa. Seinen Kreislauf hält ein Schrittmacher unter Kontrolle. Leider gibt es noch kein medizinisches Gerät, das auch für seine Gedanken und Sprüche zuständig wäre. Dafür sein und sogar dagegen - das bleibt seit 33 Jahren seine originelle Dialektik.

Gerade erst erfuhr man aus »Newsweek«, dass Walesa denke, seine »Revolution«, deren Folgen - das muss hier einflochten werden - restaurative, gar konterrevolutionäre Züge aufwiesen, sei »größer als die Französische Revolution, denn ich habe den Kommunismus rausgeschmissen, ohne einen einzigen Schuss abzufeuern«. Dabei entfuhr ihm eine durchaus kluge Bemerkung: »Alle Revolutionen, spontan von Menschen getragen, haben einen gemeinsamen Fehler: Nach dem Sieg versanden sie in der Bürokratie und in der Politik.«

Im Interview für ITAR-TASS, so meldete Radio RMF am 23. September, erreichten Walesas Fantasien neue Höhen. Die Welt sei schlecht organisiert, sagte er und konkretisierte: »Derzeit bestehende ökonomischen Strukturen müssen ausgedehnt werden, Polen und Deutschland müssten einen Staat bilden.« Das Wort Europa fiel dabei auch, doch was er meinte, bleibt zu raten. Großartig wäre es in jedem Fall, wie Walesa selbst.

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