Grüne auf Fehlersuche - und in Richtungsdebatten

Kretschmann: »Unser Platz ist in der Mitte« / Peter: »Auch in Zukunft gegen Lohndumping und soziale Ausgrenzung« / Schaulaufen der Bewerber

  • Benno König
  • Lesedauer: 3 Min.

Zerknirscht machen sich die Grünen daran, ihre Wahlniederlage aufzuarbeiten - doch wohin es gehen soll, dazu gibt es unterschiedliche Vorstellungen. »Unser Platz ist in der Mitte der Gesellschaft«, sagt Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Indirekt grenzt er sich damit auf dem Länderrat am Samstag in Berlin von dem eher linken Wahlkampf des Spitzenkandidaten Jürgen Trittin ab. Andere Grünen-Politiker warnen jedoch vor neuem Flügelstreit und davor, durch einen abrupten Kurswechsel »das Kind mit dem Bade auszuschütten«.

»Ich bin auch dafür verantwortlich«, sagt Trittin mit Blick auf die Stimmenverluste vom vergangenen Sonntag. Sein Amt als Fraktionschef hat der Parteilinke, der lange eines der wichtigsten Gesichter der Grünen war, bereits zur Verfügung gestellt, jetzt kämpft er gegen einen inhaltlichen Schwenk der Partei: »Ich kann mit unserem Grundsatzprogramm prima leben.«

»Wir werden auch in Zukunft unsere Stimme erheben gegen Lohndumping und soziale Ausgrenzung«, warnt auch Simone Peter davor, sozialpolitische Forderungen jetzt über Bord zu werfen. Die Parteilinke und frühere saarländische Landesministerin bewirbt sich auf dem Bundesparteitag im Oktober um den Parteivorsitz.

Der Länderrat ist nämlich auch ein Schaulaufen der Bewerber um Plätze in der neuen Führungsspitze der Partei, nachdem Roth und Trittin sowie seine Ko-Fraktionschefin Renate Künast ihre Ämter nach dem schwachen 8,4-Prozent-Ergebnis bei der Bundestagswahl zur Verfügung gestellt haben. Neben Peter, die mit Cem Özdemir künftig die Partei führen will, dürfte auch der bayerische Umwelt- und Verkehrsexperte Anton Hofreiter in die erste Reihe vorrücken. Er will Trittin als Fraktionschef beerben.

Eine deutliche Gegenposition zu Trittin und anderen Parteilinken vertritt auf dem Länderrat die Wirtschaftsexpertin Kerstin Andreae. Gerade beim Thema Steuern hätten viele Menschen die Grünen nicht mehr verstanden - und da helfe es auch nichts, zu sagen: »Wir erklären es noch ein bisschen länger«. Jetzt müsse verlorenes Vertrauen zurückgewonnen werden und das heiße auch, »Brücken zu den Unternehmen wieder zu schlagen«.

Andreae konkurriert mit Göring-Eckardt um den zweiten Platz an der Fraktionsspitze. Hofreiter wird der Parteilinken zugerechnet, die beiden Frauen zählen zum Realo-Flügel der Partei. Während aber Andreae auf dem Länderrat etwa mit der Äußerung aneckt: »In vier Jahren wird die Energiewende ihren Weg gegangen sein«, bemüht sich Göring-Eckardt im grünen Flügelstreit um eine vermittelnde Position. Sie rät dazu, jetzt »nicht alles über Bord zu werfen«.

Eindringlicher wird an dieser Stelle die Politische Geschäftsführerin Steffi Lemke. Ihr waren auch Ambitionen auf die Parteispitze nachgesagt worden, doch sah sie sich in den vergangenen Tagen heftiger interner Kritik ausgesetzt. Jetzt erklärt auch sie ihren Rückzug und warnt zugleich ihre Partei vor Selbstzerfleischung und dem Absägen der kompletten bisherigen Führungsmannschaft.

»Wenn wir wirklich einen neuen Politikstil pflegen wollen, dann haben, wir glaube ich, flügelübergreifend ein gutes Stück Arbeit vor uns«, mahnt Lemke die Grünen zu mehr Einigkeit und einem anderen Umgang miteinander. »Wir haben Fehler gemacht, aber wir brauchen auch nicht in Sack und Asche zu gehen«, sagt auch NRW-Vizeministerpräsidentin Sylvia Löhrmann.

Die Königin der Herzen ist jedoch ein weiteres Mal die scheidende Parteichefin Roth. »Sündenbock-Denken bringt uns überhaupt nicht weiter«, redet auch sie den streitlustigen Grünen ins Gewissen. Für ihr leidenschaftliches Plädoyer, sich auf eigene Stärken zu besinnen statt um der Machtoptionen willen »Inhalte kompatibel zu machen«, wird sie mit stehendem Applaus gefeiert. (AFP/nd)

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