Bausenator auf Herbergssuche
Michael Müller will Tempelhofer Lerchen nach Brandenburg umsiedeln
Vermutlich hat Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) in den vergangenen Monaten oft nachdenklich aus dem Fenster seines Dienstwagens in den Himmel geschaut, wenn über ihm kleine schlanke Vögel kreisten. Denn der 48-jährige Politiker musste viel nachdenken. Über Fragen einen ganz bestimmten Vogel betreffend, auf die er dringend Antworten finden muss - schließlich geht es um seine Bebauungspläne für das Tempelhofer Feld.
Mitten auf dem früheren Flugfeld ist die Feldlerche, eine Vogelart der Roten Liste, beheimatet. Und die droht Müllers Pläne für neue Wohnungen und Gewerbegebiete zu durchkreuzen. Also stellte der Senator Anfragen an sämtliche Bezirke, ob denn nicht irgendjemand einen Platz für seine Lerchen zur Verfügung hätte? Die Suche endete erfolglos, kein Bezirk konnte den Vögeln eine Ausgleichsfläche bieten.
Denn laut dem Berliner Naturschutzgesetz sind Eingriffe in den Naturhaushalt sowie das Töten, Stören oder Verbringen von geschützten Arten verboten. Nur wenn »übergeordnete Interessen« im Spiel sind - zu denen für Müller sicherlich die »Wohnungsnot« gehört - können hier Ausnahmen gemacht werden. Allerdings muss der Schaden dann durch Ausgleichsflächen kompensiert werden. Dieser Ausgleich darf nur im Geltungsbereich des Gesetzes erfolgen: also nur innerhalb der Berliner Stadtgrenzen.
Deshalb dachte Müller erneut nach, und ihm kam der Einfall, das Naturschutzgesetz zu verändern. Nach seiner Novelle müssen Eingriffe, wie das Umsiedeln von Tieren, nicht mehr innerhalb Berlins kompensiert werden: »Die könnten das auch im Kongo ausgleichen«, kritisierte ein Aktivist der Initiative »100% Tempelhofer Feld« (THF100) gegenüber »nd«. Dem Bausenator war das offenbar zu weit. Er pachtete 100 Hektar Land in Brandenburg für die Lerchen.
Mit diesem Einkauf schlägt der Urtempelhofer zwei Fliegen mit einer Klappe: Einerseits müssen die zum »Naturhaushalt« gehörenden Grünflächen, deren Bebauung Müller plant - die THF100 rechnet mit wenigstens 100 Hektar - ausgeglichen werden. Andererseits brauchen die Lerchen ein neues zu Hause, sofern sich die Bebauungspläne des Senats verwirklichen.
Rainer Altenkamp, seit 2000 stellvertretender Vorsitzender des NABU Landesverbandes Berlin, hat im Auftrag der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt die Lerchenpopulation auf dem Tempelhofer Feld untersucht. Der Ornithologe kam zu dem Schluss, dass sich diese seit der Öffnung des Feldes 2010 etwa verdoppelt hat.
Die Senatsverwaltung schlussfolgert deshalb, es sei »davon auszugehen, dass die Intensivierung der Nutzung seit der Öffnung des ehemaligen Flughafengeländes keinen wesentlichen Einfluss auf den Bestand der Feldlerchenpopulation hat«. Böse Zungen werfen allerdings ein, dass der Lerchenbestand im Zielland Brandenburg »in den letzten 15 Jahren um fast ein Drittel zurückgegangen ist«, wie der neue Blutvogel-Atlas zeigt.
Die THF100 fordert, dass die Feldlerchen an ihrem angestammten Platz und das Tempelhofer Feld in seinem aktuellen Zustand erhalten bleiben, und startete deshalb vor gut drei Wochen ein Volksbegehren. THF100 wehrt sich gegen die Behauptung, der Senat schaffe auf dem Feld bezahlbaren Wohnraum. Dabei werde es durch die Bebauung des Feldes eben dies nicht geben: »Im Gegenteil: Die Mieten steigen kräftig weiter«, heißt es auf der Homepage der Initiative. Noch bis Mitte Januar sammeln die Aktivisten Unterschriften, mindestens 200 000 wollen sie erreichen, obwohl sie nur 173 000 gültige benötigen.
Senator Müller hat versprochen, dass während des Volksbegehrens keine Bauarbeiten auf dem Feld begonnen werden, bereits geplante Veranstaltungen wurden allerdings nicht verlegt: Deshalb findet am 28. November auf dem ehemaligen Flughafengelände die Verleihung des »Leadership Award 2013« durch das Urban Land Institute (ULI) statt. Das ULI ist ein Lobbyverband, der weltweit durch Führungskräfte der Immobilienwirtschaft vertreten wird.
Im vergangenen Jahr erhielt Staatssekretärin Regula Lüscher den Award, jene Frau, die die Bebauungspläne für Tempelhof seinerzeit eingebracht und seitdem massiv verteidigt hat. Sie ist Schirmherrin der diesjährigen Verleihung, bei der zufällig der berühmteste Vogelfreund Berlins die Eröffnungsrede halten darf: Michael Müller.
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