Protest zurück auf Anfang
Hungerstreik am Brandenburger Tor/ Aufenthaltsrecht für Flüchtlinge gefordert
Die Bilder wecken Erinnerungen. Knapp zwei Dutzend Flüchtlingsaktivisten versammeln sich am Mittwochnachmittag auf dem Pariser Platz und erklären, dass sie sich ab sofort im Hungerstreik befinden. Vor ihnen ausgebreitet liegt ein weißes Banner. Darauf fordern sie die Anerkennung von Flüchtlingen durch die Gesellschaft. Konkret geht es ihnen aber auch um ihr eigenes Schicksal. Die 23 Männer und Frauen wollen die Anerkennung ihrer Anträge auf Asyl erreichen. Bei den Aktivisten handelt es sich nach eigenen Angaben um eine Gruppe, die sich die Non Citizens nennt.
Die Flüchtlinge sind keine Unbekannten: Die Gruppe war laut einer von ihnen zu Beginn der Aktion verbreiteten Erklärung bereits an einem Hungerstreik Ende Juni in München beteiligt. Vor einigen Tagen hatte Non Citizens-Sprecher Ghlam Vali erklärt, es werde bald zu erneuten Protesten kommen, dabei allerdings offen gelassen, wo und wie diese Aktionen stattfinden. »Wir wählen den Weg des Hungerstreiks, denn wir wollten und wollen immer noch nicht im Lager, in welchen uns die Regierung für einen stillen Tod festzuhalten versucht, sterben«, heißt es in der Erklärung.
Der Termin für die Protestaktion ist kein Zufall. Vor knapp einem Jahr demonstrierte an gleicher Stelle bereits eine Gruppe von Flüchtlingen mittels Hungerstreik für die Ausweitung der Rechte von Flüchtlingen. Obwohl die Gruppe laut Auskunft von Unterstützern wegen des einjährigen Bestehens des Protestcamps auf dem Oranienplatz in Berlin ist, soll sich unter den Hungerstreikenden kein Kreuzberger Flüchtling befinden. Auf dem Oranienplatz war man zumindest bis zum Mittag mit anderen Dingen beschäftigt. Die scheidende Bundesvorsitzende der Grünen Claudia Roth hatte sich gemeinsam mit Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann für einen Besuch im Protestcamp angekündigt.
Während einer improvisierten Pressekonferenz kämpft einer der Flüchtlinge mit den Tränen, als er von Roth nach seiner Geschichte gefragt wird. »Wir hatten alle Jobs, doch dann kam der Krieg und die Gewalt«, erzählt der Nigerianer Bashir und muss um Fassung ringen. Im nächsten Augenblick ist die Stimme des stämmigen Mittvierzigers voller Wut. Bashir arbeitete zehn Jahre lang in Libyen, dann kam der Sturz des Diktators Muammar al-Gaddafi und mit ihm das Chaos, indessen Folge Bashir seine Frau und die beiden Kinder verlor. Der Nigerianer lässt seiner Verzweiflung freien Lauf, da spricht ihn Claudia Roth von der Seite an und versucht, ihn zu beruhigen. Zwei Dutzend Journalisten halten die Szene in Bild und Ton fest. Das Flüchtlingscamp erlebte in den vergangenen Monaten selten solch eine mediale Aufmerksamkeit. Es musste erst eine Prominente wie die Noch-Grünenchefin ihr Erscheinen ankündigen.
Längst nicht jedem Flüchtling gefällt dieses Spektakel und es bleiben Zweifel, ob das Flüchtlingscamp oder Claudia Roth im Mittelpunkt stehen. Immerhin: Roth ist nicht zum ersten Mal auf dem Oranienplatz. »Lampedusa ist auch in Berlin«, sagt Roth und spielt damit auf die Tatsache an, dass inzwischen die Mehrheit der Bewohner vom Oranienplatz ein gemeinsames Schicksal teilen. Über die italienische Mittelmeerinsel kamen viele Campbewohner nach Europa, um dann vor den katastrophalen Bedingungen in den italienischen Asylunterkünften nach Deutschland zu flüchten.
Unterdessen erklärte die Abgeordnete Canan Bayram (Grüne), ihre Fraktion werde zur nächsten Abgeordnetenhaussitzung Asyl für die Flüchtlinge vom Oranienplatz durch den Senat sowie eine feste Unterkunft fordern.
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