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Alte Anschlüsse - neuer Protest

Mehr als 8000 Unterschriften für Einwohnerantrag in Bernau gesammelt

  • Rainer Funke
  • Lesedauer: 5 Min.
In Bernau und weiteren Gemeinden wehrt sich eine Bürgerinitiative unter anderem mit wöchentlichen Demonstrationen gegen Zahlungsaufforderungen für alte Wasseranschlüsse.

Wenn derzeit in Bernau Nachbarn am Gartenzaun miteinander reden, dann geht es gewiss nicht über Gott und die Welt, sondern über den Wasser- und Abwasserverband Panke (Finow) (WAF). Der hat an die 4500 Zahlungsaufforderungen an Grundstückseigentümer verschickt. Etwa 12 000 sollen es insgesamt werden. Zumeist handelt es sich um Rechnungen mit vier- oder fünfstelligen Summen, darunter solche bis zu 90 000 Euro. Ähnliche Ansprüche stellt der WAV auch in den Orten Melchow, Rüdnitz und Biesenthal.

Protest dagegen bündelt sich seit Juli 2011 in einer Bürgerinitiative. Sie kritisiert die »unverständlichen Prozesse«, die schlüssiger Antworten bedürften. Vor gut drei Monaten belebte sie in Bernau wieder die Montagsdemos, bei denen sich dienstags um 17 Uhr jeweils reichlich 1000 Bürger - darunter Rentner, junge Mütter, Rechtsanwälte, Unternehmer und andere - auf dem Marktplatz vor dem Rathaus versammeln und sich öffentlich den Frust von der Seele reden. Sie sprechen davon, ungerecht behandelt zu werden, von Enttäuschung über die Politik. Viele wissen nicht, wie sie das Geld aufbringen sollen.

Hat Bürgermeister Hubert Hanke, zugleich Vorsitzender des WAV, die Anspielungen auf Rücktrittsforderungen an ihn vernommen, die hier seit Wochen vor dem Rathaus artikuliert werden? Immerhin beantwortet er Schreiben von BI-Vertretern, denen er das Gefühl vermittelt, ihnen zuzustimmen, zugleich jedoch ausweicht und sich nicht festlegt. Zuletzt nagelten Bürger beim Dienstagsprotest, ähnlich wie Luther seine Thesen, ihre Forderungen an das Rathaus - »sofortiger Stopp der Beitragserhebung von Neu- und Altanschließern«, dazu die »Umstellung des Beitragsmodells auf ein Gebührenmodell«, wie es das in Potsdam, Frankfurt (Oder) und anderswo gibt, und die »Rückzahlung der von Neu- und Altanschließern gezahlten Beiträge«.

Zugleich weisen BI-Mitstreiter auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 5. März 2013 zu einem Verjährungsfall in Bayern und dessen Bedeutung für Bernau. Man wundert sich, dass der WAV munter weiter daran arbeitet, Beiträge einzutreiben zu lassen, obgleich eine höchstrichterliche Entscheidung in der Sache eine Gesetzesregelung bis spätestens April 2014 verlangt und deshalb jegliches Verwaltungshandeln bis dahin ruhen müsste.

In Bernau wurden über 8000 Unterschriften für einen Einwohnerantrag gesammelt und der größte Teil dem Wahlleiter zur Prüfung übergeben. Allein die Sammlung für einen Einwohnerantrag in dem Dörfchen Melchow, wo die Seniorin Dora Duhn unermüdlich für die BI unterwegs ist, brachte 430 Unterschriften. Das verpflichtet die Vertreter dieser Gemeinde, sich in der WAV-Versammlung für das Gebührenmodell einzusetzen.

»Es geht um gesellschaftlich entstandene Anlagen«, sagt BI-Mitglied Christel Simon dem »nd«. Nicht nur Alt- oder Neuanschließer, sondern die gesamte Bevölkerung benutzen das System, das bereits 1990 vorhanden und nur noch auszubauen war. Es ist damals für Null und Nichts an den Wasserverband übergegangen. Der hat die Anlagen neu bewertet und über Gebühren abgeschrieben. So durften die Altanschließer also ein zweites Mal bezahlen. Und noch mehr als alle anderen, weil ja ein Grundstückseigentümer über einen eigenen Hausanschluss verfügt. Damit hat er eine höhere Grundgebühr als Mieter in einem großen Haus, wo die Gebühr auf alle Wohnungseinheiten aufteilt wird.

Das Wort von den Anschlussbeiträgen sei allerdings irreführend, so Gabi Dittman von der BI. Es handelt sich nicht um den Anschluss der Zu- und Abflussrohre an das Haus. Das ist der Hausanschluss, den jeder Grundstückseigentümer selbstverständlich selbst zahlt. Der vom WAV verlangte Anschlussbeitrag wird für die öffentlichen Kläranlagen, Druckleitungen und dergleichen erhoben. Und den muss man schon lediglich für die Möglichkeit berappen, angeschlossen werden zu können. Es gibt Fälle, in denen Grundstücke belangt werden, die gar nicht angeschlossen sind. Berechnet wird die gesamte Fläche, multipliziert mit einer möglichen Geschosszahl. Selbst bei einem nicht aufstockbaren Flachbau rechnet man noch eine Etage hinzu.

Die rechtliche Grundlage geht auf ein Landesgesetz aus dem Jahr 2003 zurück. Um den erheblichen Finanzierungsbedarf des WAV zu befriedigen, legte man fest, sich das nötige Geld nicht nur von den Neu-, sondern auch von den Altanschließern zu holen, und zwar auf der Basis einer Satzung. Da kaum eine rechtswirksame Satzung existiert - es lassen sich immer »Holzböcke« darin finden -, vermag man sie beliebig zu ändern und damit neue »einmalige Anschlussbeiträge« zu kassieren.

Ursprünglich wollte man die Beiträge bis zum Jahr 2020 erheben. 30 Jahre also seit Übernahme der Anlagen. In dieser Zeit ist selbst ein Bankraub seit zehn Jahren verjährt. Die Politik dachte über 20 Jahre nach. Aber dann wäre das Projekt anno 2010 verjährt gewesen. Und so kam man auf die Hemmzeit, die bewirkt, dass erst ab anno 2000 gezählt wird, ergo bis 2020.

Und hier kommt für viele Bürger die Linkspartei ins Spiel, die vor den Landtagswahlen mit dem Versprechen durchs Land gezogen war, die Betroffenen unterstützen zu wollen. Aber die SPD blockierte. Und die Linkspartei wich zurück. Gewissermaßen als Entschädigung präsentierte sie einen Kompromiss: Neuer Schlussstrich soll 2015 gezogen werden. »Der Wasserverband hat nun noch gemütlich zwei Jahre Zeit, ehe die Verjährungsfrist abgelaufen ist«, sagt Sören-Ole Gemski, ebenfalls BI-Mitglied und Abgeordneter der LINKEN in Bernaus Stadtverordnetenversammlung. Das löse das Problem nicht, »dass millionenschwere Beiträge auf verfassungswidriger Basis gezahlt worden sind oder noch gezahlt werden sollen«.

Der WAV selbst lehnt eine Debatte am Runden Tisch bisher ab. Und das Gebührenmodell sowieso. Es würde ihn wirtschaftlich überfordern, heißt es. Er müsse dafür Kredite aufnehmen, denen die Aufsichtsbehörde nicht zustimmen würde. Die ranghöchste stellt das Innenministerium dar. Dieses allerdings teilte der BI in einem Schreiben mit, dass es keinen Anlass sieht, sich einzumischen: »Welches der gesetzlich zulässigen Finanzierungsmodelle Anwendung finden soll, hat die aus Vertretern der Mitgliedsgemeinden bestehenden Verbandsversammlung eigenverantwortlich zu entscheiden.«

www.buergerinitiative-wav.de

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