Mindestlohn gegen Betreuungsgeld?
Auch SPD-Verzicht auf Eurobonds möglich: Vor der zweiten Sondierungsrunde mit der Union zeichnen sich Kompromisslinien für eine Große Koalition ab
Berlin. Einen Tag vor der zweiten Sondierungsrunde zwischen Union und SPD hat die Generalsekretärin der Sozialdemokraten, Andrea Nahles, eine Große Koalition von der Einführung eines Mindestlohns von 8,50 Euro pro Stunde abhängig gemacht. Zugleich gab es aber auch weitere Kompromisssignale aus der SPD, nachdem die Partei bereits Entgegenkommen bei der Frage der Notwendigkeit von Steuererhöhungen erklärt hatte.
So berichtet der »Spiegel«, die SPD rücke von ihrer Position ab, das Betreuungsgeld müsse umgehend abgeschafft werden. Die Parteispitze der Sozialdemokraten wolle stattdessen bei der Union für einen Kompromiss werben, demzufolge die Bundesländer mit Hilfe einer Öffnungsklausel selbst entscheiden können, ob sie die Leistung auszahlen wollen oder nicht. Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Olaf Scholz, der sich klar für die Bildung einer Großen Koalition aussprach, sagte dem »Spiegel«, er sei überzeugt, dass der Bund für das Betreuungsgeld »nicht zuständig ist«.
Am Freitag hatten sich Kanzlerin Kanzlerin Angela Merkel, CSU-Chef Horst Seehofer und der Vorsitzende der SPD, Sigmar Gabriel, im Kanzleramt getroffen. Nach Informationen der »Bild«-Zeitung einigten sie sich bei dem informellen Gespräch darauf, über acht Themen eingehend zu beraten: Europa, Euro, nachhaltige Finanzen, demografischer Wandel, Föderalismusreform, Wirtschaftsstandort Deutschland, innere Sicherheit und Deutschlands Verantwortung in der Welt.
Nach Angaben aus CDU-Kreisen werde es am Wochenende weitere informelle Gespräche von ranghohen Vertretern der an den Sondierungen beteiligten Parteien geben. Nach Informationen der »Leipziger Volkszeitung« wollten die Generalsekretäre von CDU und CSU ein Konsensprogramm für die abschließenden Gespräche mit SPD und Grünen erarbeiten.
Der Zeitung zufolge deute sich eine Kompromisslinie zwischen SPD und Union an, wonach die SPD im Gegenzug zu einem gesetzlichen Mindestlohn auf ihre Forderung nach Einführung von Eurobonds verzichten würden. Diese Gemeinschaftsanleihen der europäischen Staaten zur Finanzierung von Krisenkosten lehnt die Union strikt ab, weil sie darin eine indirekte Übernahme von Schulden südeuropäischer Staaten sieht. Andererseits hatte unter anderem SPD-Chef Gabriel Eurobonds als ein wichtiges Mittel bezeichnet, um die Finanzkrise in den Griff zu bekommen.
Beobachter gehen jedoch davon aus, dass die Sozialdemokraten einen Kompromiss beim Thema Eurobonds in ihrer Mitgliedschaft weit eher durchbringen könnten als etwa beim Thema Mindestlohn. Dieser gehört zu den Knackpunkten der schwarz-roten Sondierungsgespräche: Die Union will diese für einzelne Branchen und Regionen von den Tarifparteien festlegen lassen. Die SPD fordert hingegen einen bundesweiten gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro.
Merkel hob in ihrem jüngsten Video-Podcast hervor, dass die Bundesregierung in den vergangenen Jahren für mehr als vier Millionen Beschäftigte branchenspezifische Mindestlöhne eingeführt habe. Es gehe um »vernünftige Lohnuntergrenzen in Form von Mindestlöhnen«. Der Arbeitnehmerflügel der Union signalisierte hingegen den Sozialdemokraten Kompromissbereitschaft: »Es wird einen Mindestlohn mit nur sehr begründeten Ausnahmen geben, weil die Gewerkschaften viele Ausnahmen nicht mitmachen«, sagte der Vorsitzende des Arbeitnehmerflügels, Karl Laumann dem Magazin »Focus«.
Dem CDU-Politiker zufolge soll die Höhe des Mindestlohnes künftig von einer Kommission aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern festgelegt werden. Damit könnte vielleicht auch der Wirtschaftsflügel der Union leben. Unions-Fraktionsvize Michael Fuchs (CDU) betonte im »Focus« lediglich, die Höhe des Mindestlohns dürfe »nicht vom Gesetzgeber bestimmt werden«.
Der Vorsitzende der SPD-Arbeitnehmerschaft, Klaus Barthel, beharrte indes auf einer Festlegung durch die Bundesregierung. Auch eine Staffelung nach Regionen, Branchen oder Alter dürfe es nicht geben. Der SPD-Arbeitsmarktpolitikerin Anette Kramme zufolge gibt es »noch eine Reihe offener Fragen, zum Beispiel wie mit Minijobs verfahren wird und ob Schüler und Praktikanten immer den Mindestlohn bekommen sollen«. Dieser dürfe dadurch aber nicht unterlaufen werden.
Nahles sagte der »Bild am Sonntag«, ohne die Vereinbarung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro werde »es eine Regierungsbeteiligung der SPD nicht geben. Alles andere würden unsere Mitglieder nicht akzeptieren.« Es werde bei dem zweiten Treffen mit Vertreter von CDU und CSU »ans Eingemachte gehen« versprach die SPD-Generalsekretärin. »Die Union sollte nicht darauf setzen, dass es automatisch zu einem dritten Sondierungsgespräch kommt. Wir brauchen schon am Montag konkrete Erkenntnisse, ob die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen Sinn machen würde.« Dem Treffen komme »entscheidende Bedeutung zu für die Frage, ob eine stabile Grundlage für Koalitionsverhandlungen existiert«.
Laut »Leipziger Volkszeitung« sagte Seehofer, die Union müsse natürlich akzeptieren, »dass für die Grünen die ökologische Frage und für die SPD die soziale Thematik von entscheidender Bedeutung« sei. Aber die Union als »die mit Abstand größte Volkspartei« habe darauf zu achten, dass Wirtschaft und Beschäftigung durch Regierungshandeln nicht litten. Bisher gebe es »keinen Punkt, wo ich sagen müsste, das kommt überhaupt nicht in Frage«. Als Beispiel verwies er auf den flächendeckenden Mindestlohn. Da sei man sich »sehr nahe«, aber die Union »wird darauf achten, dass auf dem Arbeitsmarkt kein Flächenbrand entsteht«.
Derweil sind in der Union die Stimmen derer lauter geworden, die die Möglichkeit eines Zusammengehens mit den Grünen doch noch für möglich halten oder ihre Meinung sogar geändert haben: Auch wenn er eine große Koalition mit der SPD bevorzuge, sei »noch nichts entschieden«, sagte CSU-Chef Seehofer der »Leipziger Volkszeitung«. Der Verdacht, er wolle ein schwarz-grünes Bündnis hintertreiben, sei »einfach falsch und durch nichts zu begründen«. Bisher gebe es bei den Gesprächen mit den Parteien »keinen Punkt, wo ich sagen müsste, das kommt überhaupt nicht in Frage«. Agenturen/nd
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