Athens antimigrantischer Schutzwall
Mit dem Zaun zur türkischen Grenze drückte Griechenland die Zahl der illegalen Zuwanderer erheblich
Die Männer zittern unentwegt. Es ist sieben Uhr, und es ist bitterkalt. Dicker Nebel hüllt den Bahnhof von Nea Vyssa ein, einem griechischen Dorf, das zur Gemeinde Orestiada gehört. Nea Vyssa liegt im äußersten Nordosten von Griechenland, nur ein paar hundert Meter von der Grenze zur Türkei entfernt. Ojud, Yousouf und die anderen sieben jungen Männer aus Bangladesch sind glücklich - trotz der erlittenen Strapazen. Denn sie sind am Ziel, angekommen in Europa. Aber sie haben keine Papiere, keine Arbeit, kaum Geld.
In Edirne, der westlichsten Großstadt der Türkei, auf ihrem europäischen Teil, hatten sie ihre letzte Etappe ins vermeintliche Paradies begonnen. Edirne ist der Flaschenhals für illegale Einwanderer auf ihrem langen, beschwerlichen Weg nach Europa. Denn nur hier macht der Fluss Evros an der 160 Kilometer langen Festlandsgrenze zwischen Griechenland und der Türkei einen Knick und fließt ein Stück durch die Türkei. Brücken führen in Edirne über den Fluss. Dann ist es nur noch ein kurzer Fußmarsch bis zum EU-Außenposten Nea Vyssa. Die Schlepper sagen, wo's langgeht - gegen Bares, versteht sich. Und sie kamen zu Zehntausenden aus Afghanistan, Pakistan, Bangladesch, Iran und Afrika. Griechenland wurde zum Einfallstor in den Westen auf dem Landweg, rund 90 Prozent aller illegalen Einwanderer kamen auf der Balkan-Route nach Europa. An Spitzentagen bis zu 500 Menschen.
Das alles war einmal. Ojud, Yousouf und Gefährten gehören zu den Letzten, die es nach Nea Vyssa schafften. Mittlerweile ist die illegale Einreise an dieser Stelle Griechenlands nach EU-Europas ein schier unmögliches Unterfangen.
Der Grund: der Grenzzaun in der Region Nea Vyssa, 10 365 Meter lang, vier Meter hoch, ein Drei-Millionen-Euro-Projekt. Trotz aller pleitebedingten Nöte hat Griechenland den umstrittenen Bau der stacheldrahtbewehrten Sperranlage zu 100 Prozent finanziert. »Ohne Ausrüstung ist der Grenzzaun unüberwindbar«, versichert die griechische Baufirma Dagres.
Fertiggestellt ist der Grenzzaun seit Ende 2012. Doch schon unmittelbar nach Baubeginn im August des vorigen Jahres fiel die Zahl der illegal Einreisenden an der griechisch-türkischen Festlandsgrenze drastisch. Registrierten die griechischen Behörden in diesem Abschnitt in den ersten acht Monaten im Jahr 2012 noch 29 927 illegal Einreisende, waren es von Januar bis Ende August dieses Jahres nur noch 585 - ein Rückgang um volle 98 Prozent.
Die griechischen Behörden können sich nun zudem darauf konzentrieren, gemeinsam mit der Europäischen Grenzschutzagentur Frontex Europas Grenzen zur Türkei in der östlichen Ägäis besser zu überwachen. Das Ergebnis: Reisten seit 2006 im Schnitt insgesamt mehr als 100 000 Personen pro Jahr illegal nach Griechenland ein (2006: 95 239; 2007: 112 364; 2008: 146 337; 2009: 126 145; 2010: 132 524, 2011: 99 368; 2012: 76 878), waren es in den ersten acht Monaten des laufenden Jahres nur noch 26 772. Die Athener Tageszeitung »Kathimerini« frohlockte mit Blick auf den Grenzzaun: »In Evros kommt nicht einmal eine Mücke über die Grenze.« Evros ist die östlichste Präfektur des griechischen Festlands und der Verwaltungsregion Ostmakedonien und Thrakien.
Fest steht jedenfalls, dass der Fluchtstrom über die Balkan-Route und das östliche Mittelmeer praktisch versiegt ist. Den illegalen Einwanderern bleiben nach Europa jetzt nur die Routen über die arabischen Staaten Algerien, Libyen und damit eben das Mittelmeer und hochriskante Überfahrten. Enorme Gefahren birgt bei stürmischer See insbesondere die Route von Libyen aus, wie die jüngsten Unglücke mit Hunderten Ertrunkenen vor der italienischen Insel Lampedusa und vor Malta beweisen. Ohne Griechenlands neuen Grenzzaun in Nea Vyssa wären sie vielleicht noch am Leben. So wie Ojud und Yousouf.
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