Was ist das, Sinfonie?

Werke von Benjamin Britten und Anton Bruckner wurden im Konzerthaus aufgeführt

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Spannung zwischen Britten und Bruckner ist aufschlussreich. Sie mit zwei sinfonischen Werken hervorzubringen - der Sinfonie für Cello und Orchester des Briten und der 2. Sinfonie des Österreichers - tat das Konzerthaus einen guten Griff. Symphonisches kam sehr unterschiedlich vor die Ohren.

Interessant die Erscheinung Mario Venzagos, Dirigent und Pianist italienisch-deutscher Herkunft, er dirigierte das Konzerthausorchester auf eigenwillige, sehr inspirierte Weise. Venzago hat sich als Dirigent von der Pike an hinaufgearbeitet, dirigierte zunächst Stadtorchester, bis ihn auch die großen Klangkörper einluden: Gewandhausorchester, Berliner Philharmoniker, London Philharmonic und viele mehr. Bruckner-Werke macht Venzago momentan, scheint es, am liebsten. Es existieren neuere CD-Einspielungen und eine seinerseits kontinuierliche Bruckner-Pflege in Konzerten. Nun kam die 2. Sinfonie des Linzer Halbgotts - in einer nahezu lupenreinen, die Aufgipfelungen bis zum Exzess treibenden Wiedergabe. Konträr dazu erhellte den Abend die Ausführung des Britten-Werks mit dem Cellisten Alban Gerhardt.

Britten versus Bruckner. Bei letzterem gibt es keinen Zweifel. Er, Österreicher, so strenger Katholik wie gestrenger Kontrolleur der eigenen Notenbilder (die Überarbeitungswut befiel ihn nicht selten), gilt als die Inkarnation des Sinfonikers schlechtweg. Böse Zungen schnattern immer noch, er hätte in Wirklichkeit statt zehn Sinfonien nur eine einzige geschrieben, da alle sich gleichen würden. Neckisches Bonmot. Allein die zweite kontrastiert zur ersten erheblich. Diese zweite wiederum ähnelt zwar der vierten, der »Romantischen«, während es sich verbietet, jene etwa mit der fragmentarischen neunten zu verwechseln. Gut, viel anderes als Sinfonien hat Bruckner, er wurde 72 Jahre alt, nicht geschrieben. Bedeutende Messe in f-moll, ferner einige Kammermusik.

Anders Britten. Er bejahte die Sinfonietradition zwar, konnte sie jedoch nicht positiv aneignen. Frühe Stücke wie »Sinfonietta« und »Simple Symphonie« geben Modelle, die verkleinern und vereinfachen. In den 40er Jahren entstehen die »Sinfonia da Requiem« und die »Spring Symphonie« mit Solisten und Chor. Und neun Jahre vor seinem Tod (1976) kommt jene Sinfonie für Violoncello und Orchester, nun erstmals im Konzerthaus aufgeführt. Britten hätte sie auch als mehrteiliges Orchesterwerk mit obligatem Cello liefern können. Er bestand auf dem Begriff Sinfonie, wiewohl der seinerzeit längst fragwürdig geworden war.

Heute schreibt so gut wie kein ernst zu nehmender Komponist mehr Sinfonien. Und wenn, dann gehöre die Gattung karikiert, mindestens reduziert, ihrer Programmatik entkleidet.

Was ist das, Sinfonie? Schon der Begriff schien (und scheint) anrüchig, obwohl vorher Großes vollbracht wurde. Darius Milhaud etwa schrieb in Tagen, als die Großformen keinen guten Stand hatten, »Symphonien«, die dauern zehn Minuten und haben nur Blech- und Holzbläser. Und Reiner Bredemeyer dampfte die sinfonische Monumentalität in seinem seriell-gestisch formulierten Stück »Sinfonie« auf fünf Minuten ein. Luigi Nono - auf Schostakowitsch zeigend - verabscheute die Sinfonie geradezu. Instrumentale Großformen, gelehnt an hypertrophes Gedankentum seien verbraucht, sie hätten keinen Rückhalt mehr in der Gegenwart, so die gängige Lesart. Was verwundert, wo doch die produzierte Dingwelt immer mehr aufbläht und den Globus denaturiert. Offenbar fehlen wirklich »heroische Ideen« (falsche Helden gibt es genug), um Sinfonien komponieren zu können.

Jene »bürgerliche Glanzzeit«, der Beethoven, wissend um deren Antinomien, donnernd den Stempel aufdrückte, ist längst Geschichte. Heute glänzt allenfalls der Lack der zerstörerischen Industrien und der Drohnen. Immerhin: Dmitri Schostakowitsch schrieb fünfzehn Sinfonien, Hans Werner Henze neun (die letzte auf einen Anna-Seghers-Text), Friedrich Goldmann vier, Friedrich Schenker eine (»In Memoriam Martin Luther King«).

Paradox: die Gattung Sinfonie in ihrer Klassizität wird in den Konzertsälen der Welt gepflegt wie keine andere oder vielleicht nur die der Oper. Die Leute bejubeln Sinfonien von Haydn, Mozart, Beethoven bis Mahler, Bruckner, Schostakowitsch. Tausende Aufnahmen stehen weltweit zum Verkauf im Audio-Markt. Tradition dominiert absolut, während die neuen Kompositionskulturen weitgehend ihr Eigenleben führen und sich einen Kehricht darum scheren, was einst als mächtig galt.

Benjamin Brittens viersätzige Sinfonie für Cello und Orchester changiert zwischen Solokonzert und Sinfonie. Das Orchestrale regiert. Der Solist tritt selten als treibendes, durchsetzungsmächtiges Subjekt hervor. Die Großmacht, sei sie auch zerklüftet, hält ihn im Zaum. Ohnedies: Ein per aspera ad astra hat dies Stück nicht. Jubel, Sieg, Apotheose - ausgeschlossen.

Die Ausführenden entsprachen in hohem Maße dem, was das Werk fordert. Restlos dunkel, traurig geriet der erste Satz, in dem die tiefen Instrumente triumphieren (Kontrabässe, Tuba, Posaunen, Kontrafagott). Der zweite Satz kam wahrlich als über sich selbst stolperndes Scherzo. Die Kadenz des dritten Satzes spielte Alban Gerhardt ganz unspektakulär, als hätte der Spieler eine Maske auf. Bedeutend die Umsetzung des vielfarbigen und gewichtigen Schluss-Satzes. Horn, Cello und Marimbaphon spielen sich hier die Bälle (Töne) zu. Bravourös realisiert die brüchige, Hoffnung erheischende Schlusskadenz.

Dass danach Dirigent Mario Venzago, er kroch beim Dirigieren, sobald es schwierig wurde, fast in die Musik hinein und lächelte in den Satzpausen den Musikern anerkennend zu, auch Bruckners Zweite auf diesem Niveau zum Klingen bringen würde, dürfte im Saal niemand bezweifelt haben. Es kam dann auch so.

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