»Notfalls wieder illegal«
Roma-Familie will auch ohne Erlaubnis der französischen Regierung zurückkehren
Seit Tagen wuchs der Druck auf Präsident François Hollande, im Fall der nach Kosovo abgeschobenen 15-jährigen Schülerin Leonarda und ihrer Familie Stellung zu beziehen. Am Sonnabend erklärte Hollande, dass »zu den höchsten Werten der Republik der Respekt vor dem Gesetz gehört«. Im Fall dieser Roma-Familie seien alle gesetzlichen Vorschriften eingehalten worden. Die Behörden hätten korrekt gehandelt.
Damit stellte sich Hollande nicht zuletzt vor Innenminister Manuel Valls, der selbst von Parteifreunden aus der Sozialistischen Partei (PS) kritisiert wird und dessen Ablösung einige Politiker, darunter Jean-Luc Mélenchon von der Linkspartei, fordern. Gleichzeitig bot der Präsident als »humanistische Geste« Leonarda an, nach Frankreich zurückzukommen - allerdings ohne die Familie. Das hat die Schülerin über die zahlreich in der Kosovo-Hauptstadt Mitrovica präsenten französischen Medien umgehend abgelehnt. Ihr Vater kündigte an, die Familie werde auf jeden Fall nach Frankreich zurückkehren, »notfalls wieder illegal«.
Was über diese Roma-Familie inzwischen durch Informationen der Behörden und Nachforschungen der Medien bekannt wurde, macht den Fall allerdings untauglich für eine sachliche Auseinandersetzung über die Einwanderungspolitik der Linksregierung. Der Vater soll in seinem letztlich negativ ausgegangenen Asylverfahren, das über vier Jahre lief und bei dem alle Rechtsmittel ausgeschöpft wurden, wiederholt gelogen und gefälschte Dokumente vorgelegt haben. Zwar stammt er aus Kosovo, nicht aber die restliche Familie.
Die Frau und alle Kinder sind in Italien geboren, wo die Familie mehr als 15 Jahre gelebt und bereits erfolglos ein Asylverfahren angestrengt hatte, bevor sie nach Frankreich zog. Nach Einschätzung von Behörden und Sozialhelfern habe die Familie keinerlei Bereitschaft zur Integration gezeigt und die ihr zur Verfügung gestellte Wohnung »in asozialer Weise heruntergewirtschaftet«. Der Vater soll alle Angebote für eine Arbeitsstelle ausgeschlagen haben, bei Diebstählen gestellt und von den eigenen Töchtern bei der Polizei wegen Misshandlungen angezeigt worden sein.
Kritikwürdig bleibt in jedem Fall die Art und Weise der Abschiebung. Weil Leonarda wegen der angeordneten Ausweisung nach Kosovo seit Tagen nicht zu Hause übernachtet hat und die Polizei sie nicht anders ausfindig machen konnte, wurde sie während eines Schulausflugs »abgefangen«. Das hat landesweit Empörung ausgelöst, was die rechte Opposition sofort genutzt hat, um der Linksregierung »Widersprüchlichkeit und Inkonsequenz in ihrer Ausländerpolitik« und den protestierenden linken Kräften »Blauäugigkeit« und »Naivität« zum Thema illegale Einwanderung vorzuwerfen.
In den vergangenen Tagen protestierten tausende Schüler für Leonarda, aber auch den ebenfalls kürzlich abgeschobenen 19-jährigen armenischen Schüler Katchik. Am Sonnabend kamen 12 000 Schüler in Paris auf dem Platz der Republik zusammen. Für Anfang der Woche haben die Schülergewerkschaften ungeachtet der Herbstferien weitere Protestaktionen angekündigt.
In Reaktion auf die Kritik zum Vorgehen im »Fall Leonarda« hat die Regierung am Wochenende mit einem Rundschreiben an alle Präfekten klargestellt, dass es keinerlei Aktionen der Polizei, die nach Schülern sucht, »innerhalb von Schulen oder bei schulischen Veranstaltungen und Ausflügen« geben dürfe. Die Schule müsse »ein Ort der Ruhe und Sicherheit« sein, so Bildungsminister Vincent Peillon. Um eine breite Debatte über Migrationspolitik, die sich von der des rechten Präsidenten Nicolas Sarkozy unterscheiden und linke Werte berücksichtigen muss, wird Hollande damit aber nicht herumkommen.
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