Protestende mit Fragezeichen
Flüchtlinge beenden vorerst ihren Hungerstreik und kommen in einer Kirche unter
Kurz vor Schluss hieß es noch einmal für alle Beteiligten bangen. Wenige Minuten, nachdem die verbliebenen Flüchtlinge am Brandenburger Tor die Nachricht von einer Einigung erreicht, muss wieder ein Hungerstreikender von Rettungskräften behandelt werden. Dieses Szenario spielte sich zuletzt Dutzende Male auf der Dauermahnwache ab. Gegen 19 Uhr abends löst sich bei fast allen Beteiligten schließlich die Anspannung. Die Protestierenden verkünden, ihren seit dem 9. Oktober andauernden Hungerstreik bis Mitte Januar auszusetzen.
Viele der etwa 30 Flüchtlinge und ihre Unterstützer liegen sich auf dem Pariser Platz in den Armen. Bei einigen fließen die Tränen, weil die sich zuletzt immer weiter zuspitzende Lage am Brandenburger Tor doch noch in letzter Minute glücklich beendet werden konnte. Mitten unter den jubelnden Flüchtlingsaktivisten stehen Berlins Integrationssenatorin Dilek Kolat und der Bundestagsabgeordnete Rüdiger Veit (beide SPD). Beide hatten zuvor mehrere Stunden mit Vertretern der hungerstreikenden Gruppe sowie dem Vizepräsidenten des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Michael Griesbeck verhandelt. Das Ergebnis ist für alle Beteiligten ein annehmbarer Kompromiss. Kolat verspricht, dass die Asylanträge der Flüchtlinge »noch einmal vorrangig« durch das BAMF geprüft werden. Aus Sicht der Flüchtlinge ist das ein Erfolg. Viele von ihnen warten nach eigenen Angaben seit mehreren Jahren auf eine Entscheidung der Behörde, bei anderen wiederum wurde der Antrag bereits abgelehnt.
Zudem erklären beide SPD-Politiker, dass sich ihre Partei bei den anstehenden Koalitionsverhandlungen mit der Union für die Forderungen der Flüchtlinge einsetzen werde. Kolat bezeichnet insbesondere den schnelleren Zugang für Asylbewerber zum Arbeitsmarkt, den Zugang zu Sprachkursen als auch die Lockerung der Residenzpflicht als »berechtigte Belange«. In den Verhandlungen hatten sowohl das BAMF als auch Kolat zuvor allerdings gesagt, die Forderung nach einem pauschalen Bleiberecht für alle nicht zu unterstützen.
Ein positives Signal gibt es hingegen bezüglich einer möglichen Neuregelung für die politisch umstrittenen sogenannten Kettenduldungen. Nach der bisherigen Gesetzeslage kann den Flüchtlingen, deren Asylantrag abgelehnt wurde, durch die Behörden wiederholt die Duldung ausgesprochen werden. Laut Kritikern sind die betroffenen Personen allerdings ständig von Abschiebung bedroht, da eine erneute Duldung oft nur für einen kurzen Zeitraum ausgesprochen werde. Kolat verspricht, die SPD werde sich im Bund dafür einsetzen, dass nach einer mehrfach erneuerten Duldung künftig ein unbefristetes Bleiberecht gewährt werden soll.
Für die Umsetzung erster Ergebnisse räumen die Flüchtlinge dem BAMF und der Politik nun drei Monate ein. Bis dahin werde es keinen neuen Hungerstreik geben. Wie schwer die Verhandlungen werden könnten, zeigt eine vor wenigen Tagen erteilte Absage des bisher von der CSU-geführten Bundesinnenministeriums, sich für eine Lockerung des Asylgesetzes einzusetzen. Auch die Flüchtlinge wissen das und kündigen für den Fall ausbleibender Fortschritte neue Proteste an.
Für die vom Hunger- und Durststreik Erschöpften heißt es nun erst einmal, zu Kräften zu kommen. Nachdem die Aktivisten ihre Mahnwache am Sonnabend beendet und den Pariser Platz verlassen hatten, wurden sie auf Vermittlung des SPD-Politikers Rüdiger Veit zunächst bis zum heutigen Montag in Räumen der Evangelischen Kirchgemeinde Heilig-Kreuz-Passion in Kreuzberg untergebracht.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.