Planierraupen gegen Roma-Lager
Die südfranzösische Stadt Marseille hat die größte illegale Siedlung in Frankreich eingeebnet
Unter Polizeischutz machten Planierraupen am Montag in Marseille das größte Roma-Lager Frankreichs dem Erdboden gleich. Die letzten der etwa 400 Menschen, die dort in selbstgezimmerten Hütten zwischen Schrott und Abfällen unter schlimmsten hygienischen Bedingungen kampiert hatten, waren bereits am Sonntagabend auf Anraten von Hilfsvereinen abgezogen.
Bereits in den vergangenen zwei Wochen konnten aus dem Camp im Viertel Capelette 80 Personen vorübergehend in Sozialwohnungen untergebracht werden. Die standen leer und sollten eigentlich renoviert werden. »Das ist ein Anfang«, meint Caroline Godard vom Verein »Rencontres tsiganes«. Sie und andere Hilfsorganisationen setzen auf die Unterstützung durch die Stadtverwaltung von Marseille und die Präfektur des Départements, die gesetzlich verpflichtet sind, bei jeder Zwangsräumung illegaler Lager Übergangslösungen für die Unterbringung der Familien zu finden. »Das ist in der Praxis längst nicht immer der Fall«, sagt Caroline Godard. So auch diesmal, obwohl die Justiz bereits Ende Juli die Räumung dieses Lagers innerhalb von zwei Monaten angeordnet hatte.
Frankreichs Politiker stehen unter Druck. In wenigen Monaten sind Kommunalwahlen, und die Unzufriedenheit in der Bevölkerung über die menschenunwürdigen Roma-Camps wächst. Vor einem Jahr haben Einwohner im Norden von Marseille schon einmal zur »Selbsthilfe« gegriffen, ein Roma-Lager angezündet und die Menschen vertrieben.
Von den knapp 20 000 Roma aus Rumänien und Bulgarien, die gegenwärtig in Frankreich leben, konzentrieren sich drei Viertel auf die Pariser Region, Lyon, Marseille und Lille. Nur wenige wohnen in Übergangswohnungen, die von Vereinen oder den Behörden bereitgestellt wurden. An den Fingern abzuzählen sind Siedlungen von einfachen Häusern, die für Roma-Familien errichtet wurden und wo die Männer zur Arbeit - zumeist auf den Bau - und die Kinder in die Schule gehen können.
Gestützt auf Umfragen, denen zufolge 93 Prozent der Franzosen überzeugt sind, dass Roma nicht integrationsbereit sind, und zwei Drittel die Abschiebung für die beste Lösung des »Roma-Problems« halten, bleibt Innenminister Manuel Valls bei seinem harten Kurs von Repression und Ausweisung. »Der Staat handhabt das Problem mit den Roma nach wie vor gewaltsam, diskriminierend und entgegen den Grundrechten«, beklagte der Vizepräsident des Verbands für Menschenrechte des Départements Bouches-du-Rhône, Jean-Claude Aparicio, laut der Tageszeitung »Le Monde«.
Doch selbst die nach Kosovo abgeschobene Familie der 15-jährigen Leonarda, gegen die es am Wochenende in Mitrovica zu Handgreiflichkeiten seitens der Familie des Ex-Ehemanns von Leonardas Mutter kam, will nur eines: zurück nach Frankreich. In Kosovo fühle man sich »nicht zu Hause, nicht in Sicherheit«.
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