Pleiten, Pech und Wahlen

Rund um die Bundestagswahl kam es zu haarsträubenden Unregelmäßigkeiten

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 3 Min.
Vergessene Wahlbriefe, unauffindbare Wähler und nachlässige Helfer: Beim Urnengang am 22. September ging einiges schief.

Bundeswahlleiter Roderich Egeler ist ein ruhiger Typ. Das muss er auch sein: Schließlich führt der Beamte das Statistische Bundesamt. Doch als Egeler vor wenigen Tagen das endgültige Ergebnis der Bundestagswahlen in Berlin präsentierte, konnte sich der studierte Volkswirt bissige Bemerkungen nicht verkneifen. Die ungewöhnliche Häufung von Pannen mache ihm Sorgen, so Egeler. Schuld an vielen Zwischenfällen seien »die zunehmend überforderten Wahlvorstände«. Diese sollten auf ihre Tätigkeit künftig besser vorbereitet werden, forderte Egeler.

Deutlichstes Indiz für die Pannenserie ist die Rekordzahl an Nachzählungen. Wegen Unstimmigkeiten musste in 372 Stimmbezirken noch einmal neu gezählt werden. Bei der letzten Wahl 2009 war dies nur in 254 Bezirken notwendig. Allein in Bremen wurde in 29 Wahlbezirken noch einmal geprüft, weil die Niederschriften der Wahlvorstände entweder nicht nachvollziehbar oder gar nicht angefertigt worden waren, so Egeler. »Einige der Vorstände wussten die Bedeutung des ihnen angetragenen Ehrenamtes nicht einzuschätzen«, kritisierte der Bundeswahlleiter die laxe Einstellung seiner Helfer. Im Wahlkreis Essen III musste gleich zweimal neu ausgezählt werden. So kam raus, dass der Vorsprung des gewählten Direktkandidaten auf den Zweitplatzierten nicht drei, sondern 93 Stimmen betrug.

Einige der bundesweit 690 000 Wahlhelfer hatten das notwendige Stehvermögen nicht. So konnte in einigen Wahllokalen nicht ausgezählt werden, weil die Beisitzer schon zu Hause waren.

Sorgen machte dem Wahlleiter auch der Trend zur Briefwahl. Jeder vierte Wähler spart sich mittlerweile den Weg an die Urne und gibt seine Stimme per Post ab. Nicht immer kommt so ein Brief auch an. Insbesondere, weil zunehmend private Dienstleister für den Transport der Wahlbriefe eingesetzt werden, vermutete Egeler.

Im schleswig-holsteinischen Ratzeburg blieben über 200 Wahlbriefe in einer Postfiliale liegen und wurden erst am Montag nach dem Urnengang abgeholt. Damit galten die Stimmen als »verspätet abgegeben« und zählten nicht. Richtig kriminell wurde es im sächsischen Ebersbach-Neugersfeld. Hier stahlen Unbekannte ein Postfahrzeug und nahmen so fast 300 Wahlbenachrichtigungen mit. Ob es auch Postler waren, die 26 Säcke mit ausgefüllten Wahlzetteln in einem Essener Fahrstuhl vergaßen, ist nicht bekannt. Keine Schuld traf die Post in Oberhausen. Hier hatte man teilweise Stimmzettel der Bundestagswahl 2009 ausgegeben.

Immer wieder gab es Ärger mit der Software. Allein in Berlin wurden deshalb hundert Wahlscheine doppelt ausgedruckt und versandt. Das Computerprogramm konnte aber nicht ermitteln, wen es doppelt bedacht hatte. Nur ein Teil der Angeschriebenen schickte die überzähligen Unterlagen zurück. Bis auf eine Ausnahme wurden aber »keine doppelten Wahlscheine ermittelt«, so Egeler. Auch in Köln, Düsseldorf und Bochum traten ähnliche Probleme auf.

Richtig ernst wurde es aber in Hamburg. Dort waren rund 70 000 Briefwähler nicht erfasst worden. Zudem konnten dort 20 000 Wahlbenachrichtigungen nicht unmittelbar zugestellt werden. Trotz intensiver Recherche blieben 11 600 Empfänger nicht auffindbar. Das Chaos in der Hansestadt machte eine Überprüfung notwendig. Dabei tauchten fast 10 000 Zweitstimmen wieder auf und verhalfen dem SPD-Kandidaten Jens Zimmermann zu einem nachträglichen Bundestagsmandat.

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