»Immer feste druff!«, forderte der Kronprinz

Die Zabernaffäre bewies die Ohnmacht von Regierung und Parlament in Deutschland

  • Gerd Fesser
  • Lesedauer: 3 Min.

In keiner anderen Region des Deutschen Reiches war vor dem Ersten Weltkrieg soviel Militär konzentriert wie in Elsass-Lothringen. Neben jenen Truppenteilen, in denen Landeskinder ihren Militärdienst ableisteten, standen hier starke preußische, bayerische, württembergische und sächsische Truppen in Garnison. In Zabern (Saverne) waren der Stab und zwei Bataillone des 2. Oberrheinischen Infanterieregiments Nr. 99 untergebracht.

Am 28. Oktober 1913 hielt hier der 20-jährige Leutnant Günther Freiherr von Forstner eine Instruktionsstunde ab und belehrte die Soldaten, wie sie sich gegenüber den Einheimischen zu verhalten hätten. Dabei wandte er sich an einen Soldaten, der wegen Messerstecherei vorbestraft war und sagte: »Und, wenn Sie dabei so einen ›Wackes‹ über den Haufen stechen, so schadet es nichts. Sie bekommen von mir dann noch zehn Mark Belohnung.« »Wackes« war im Elsass ein böses Schimpfwort. Im Regiment des schneidigen Leutnants von Forstner war es seit 1903 »strengstens« untersagt, dieses Wort zu gebrauchen.

Der Held von Zabern

Ein »Mann« mit einem langen Messer,
und zwanzig Jahr -
ein Held, ein Heros und
Schokladenesser,
und noch kein einzig Schnurrbarthaar.
Das stelzt in Zaberns langen Gassen
und kräht Sopran -
Wird man das Kind noch lange ohne Aufsicht lassen? -
Es ist die allerhöchste Eisenbahn! -
Das ist so einer, wie wir viele brauchen! Er führt das Korps!
Und tief bewegt sieht man die Seinen tauchen
nach Feinden tief in jedes Abtrittsrohr.
Denn schließlich macht man dabei seine Beute -
wer wagt, gewinnt!
Ein lahmer Schuster ist es heute,
und morgen ist’s ein Waisenkind.
Kurz: er hat Mut, Kuhrasche oder
besser:
ein ganzer Mann! -
Denn wehrt sich jemand, sticht er gleich mit’s Messer,
schon, weil der and’re sich nicht wehren kann.
Kurt Tucholsky

Elsass und der östliche Teil von Lothringen waren nach dem deutsch-französischen Krieg im Jahre 1871 an das Reich angegliedert worden. Die betroffene Bevölkerung hatte man dazu nicht befragt. Obwohl innere Verwaltung, Justiz und Schulwesen Sache der Bundesstaaten waren, besaß die Bevölkerung des neuen Landes diese Rechte lange Zeit nicht. Elsass-Lothringen wurde als sogenanntes Reichsland von preußisch-deutschen Beamten regiert. Viele der Einwohner von Elsass-Lothringen fühlten sich als Deutsche 2. Klasse und empfanden die Tätigkeit der preußischen Beamten und Offiziere als Besatzungsregime.

Als der Vorfall vom 28. Oktober in Zabern am 6. November durch Zeitungsmeldungen bekannt wurde, wirkte er wie der vielzitierte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Zudem provozierte der Kommandeur des Infanterieregiments 99, Oberst Adolf von Reuter, die Einwohner von Zabern noch zusätzlich, indem er Tag für Tag Patrouillen mit aufgepflanztem Bajonett und scharfer Munition durch die Stadt streifen ließ. Die martialisch daherkommenden Offiziere und Soldaten wurden von den Einwohnern wiederholt verspottet und ausgelacht. Darauf ließ Reuter wahllos etwa 30 Bürger verhaften. Versehentlich wurde sogar ein Landgerichtsrat festgenommen. Die Verhafteten wurden misshandelt und die Nacht über im Kohlenkeller der Kaserne eingesperrt. Als ein Zivilbeamter den Obersten beschwor, kein Unglück geschehen zu lassen, erklärte Reuter forsch, wenn in Zabern Blut fließen würde, könnte er das nur als ein Glück betrachten. Kronprinz Friedrich Wilhelm feuerte den Oberst an, indem er ihm telegrafierte: »Immer feste druff!«

Im Reichstag wurde Kanzler Bethmann Hollweg wegen der Vorfälle im Elsass heftig angegriffen. Als er die Exzesse des Militärs bagatellisierte, sprach ihm das Parlament am 4. Dezember mit 293 zu 54 Stimmen seine Missbilligung aus. Reuter und Forstner kamen vor ein Militärgericht. Die beiden wurden jedoch freigesprochen. Vor aller Welt war damit demonstriert, dass in Deutschland Regierung und Parlament gegenüber dem Militär machtlos waren.

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