»Wider Miethswucher und Eigenthümertyrannei«
Der Berliner Mieterverein feiert mit einem Tag der offenen Tür sein 125-jähriges Jubiläum
nd: Der »Verein Berliner Wohnungsmiether« wurde 1888 gegründet. Die Frage des Warum erübrigt sich wohl, aber wer hat ihn gegründet?
Wild: Das waren nicht unbedingt die Ärmsten der Armen, sondern eher Handwerker, auch Beamte. Und immerhin hat er es schon im Gründungsjahr auf 6000 Mitglieder gebracht, womit er gleich der größte Verein in Berlin wurde. Was schon zeigte, wie groß die Probleme waren. Für viele Menschen waren die Wohnverhältnisse katastrophal, es gab keine rechtlichen Regelungen. Im Grunde waren die Mieter Freiwild.
Die nach Belieben gefeuert werden konnten?
Ja. Deswegen war auch das erste Bestreben der Mieter, Einfluss auf die Verträge zu nehmen, um ihren Schutz zu sichern. Der Kampf gegen die üblichen Knebelverträge mit ihren willkürlichen Klauseln und für einen einheitlichen Mietvertrag bestimmte die Arbeit.
Wie erfolgreich war sie?
Ich denke, dass die Auseinandersetzung zwischen den Weltkriegen zu einer durchaus ausgefeilten Gesetzgebung geführt hat. Der Schutz der Mieter vor überbordenden Mietsteigerungen und die Verantwortung des Staates für die Wohnraumversorgung war ein großes Ziel und hat in den Zwanziger Jahren auch letztlich Erfolg gehabt. Das war auch ein Grundstein für die Gesetzgebung in der Nachkriegszeit. Wir rechnen es uns besonders als Erfolg an, dass die Mietpreisbindung im Westteil der Stadt viele Jahre aufrechterhalten werden konnte und dann Ende der 80er Jahre moderate Übergänge in das Vergleichsmietensystem geschaffen wurden.
Vor 1990 hatte der Mieterverein etwa 34 000 Mitglieder, danach Verdreifachte sich die Zahl sehr schnell. Gaben die »Ossis«, die sich erstmals gegen Mieterhöhungen wehren mussten, dem Verein stärkeres Gewicht?
Es gab praktisch zwei Entwicklungen: Im Westteil der Stadt in den der 80er Jahren eine starke Politisierung der Mieterschaft, was uns auch mitgliedermäßig deutlich nach vorn brachte. Und der zweite Schub kam mit der Wiedervereinigung. Da stieß eine sehr engagierte, aber auch verunsicherte Mieterschaft hinzu. Wir haben versucht, den Mietern im Ostteil der Stadt einen Halt zu geben. Auch heute ist diese Interessenvertretung gerade hier von Bedeutung. Man denke nur an die ganzen Aufwertungsquartiere wie Friedrichshain, Mitte oder Prenzlauer Berg.
Das Motto von 1888 »wider Miethswucher und Eigenthümertyrannei« könnten Sie heute aber wieder aufgreifen.
Es wirken tatsächlich wieder sehr starke Verdrängungsmechanismen durch Aushebelung von Kündigungsschutz und Mietsteigerungen. Deshalb muss man darüber nachdenken, für angespannte Wohnungsmärkte das Mietrecht anzupassen. Wir sehen es ja auch im internationalen Vergleich, dass der Mieterstatus im Prinzip ein vernünftiger Status ist, weil die weltweit reichen Länder ja Länder mit einer hohen Mieterquote sind.
In Berlin werden vor allem Eigentums- und Luxuswohnungen gebaut. Bleibt Berlin trotzdem Mieterstadt?
Die Anzahl der Eigentumswohnungen steigt zwar deutlich, aber der Großteil der Eigentumswohnungen ist immer noch vermietet, die Selbstnutzerquote, die derzeit bei etwa 15 Prozent liegt, wird auch in Berlin nicht wesentlich steigen. Sie beträgt in Hamburg und München etwa 25 Prozent. Angesichts der unterschiedlichen Einkommensstruktur wird Berlin diese Quote kaum erreichen. Wir bleiben Mieterstadt. Ein großes Problem sehen wir allerdings in der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen. Die Mieter geraten hier unter besonderen Druck geraten, sind Eigenbedarfskündigungen und schnell steigenden Mieten ausgesetzt. Wir fordern deshalb vom Senat, die Umwandlung in Eigentumswohnungen in Millieuschutzgebieten zu verbieten.
Berlin war mal Hauptstadt des sozialen Wohnungsbaus, davon sind wir jetzt weit entfernt.
Das ist eine fatale Fehlentwicklung der letzten Jahre. In solch kritischen Wohnungsmarktsituationen zeigt sich, dass der Markt die Wohnungsversorgung eben nicht gerecht gestalten kann. Es rächt sich, dass wir seit etwa 15 Jahren keine engagierte Wohnungspolitik mehr haben. Wir müssen aber den mietpreisgebundenen Sektor deutlich erhöhen, weil die privaten Eigentümer kaum bereit sein werden, in angespannten Situationen eine soziale Wohnraumversorgung sicherzustellen.
Der Senat versucht umzusteuern und den Wohnungsbau anzukurbeln. Es soll auch wieder eine Förderung geben. Reicht das?
Ich habe da große Zweifel. Wenn das Senatskonzept so durchgeht, wird jährlich der Bau von nur etwa 1000 Wohnungen gefördert, deren Einstiegsmiete bei sechs Euro pro Quadratmeter liegen soll. Das halten wir für zu hoch, zumal sie alle zwei Jahre um 20 Cent steigen soll. Es sind aber auch ein paar Maßnahmen eingeleitet worden, die wir begrüßen, zum Beispiel das Verbot der Zweckentfremdung.
Das hat am Mittwoch den Bauausschuss passiert. Quasi ein kleines Geschenk an den Mieterverein?
Das glaube ich nicht, es käme ja auch reichlich spät. Wir haben es schon vor zweieinhalb Jahren gefordert. Auch ist es nur ein Kompromiss mit zweijährigem Bestandsschutz für bestehende Ferienwohnungen. Bei der Umsetzung wird man ohnehin angewiesen sein auf das Engagement der Berliner. Denn ich gehe nicht davon aus, dass den Bezirken so viel Personal zur Verfügung gestellt wird, dass sie durch die Quartiere ziehen und Ferienwohnungen aufspüren können. Ich hoffe deshalb, dass die Mieter dieses Instrument nutzen. Es geht ja darum, Wohnraum wieder Wohnzwecken zuzuführen.
Zum Geburtstag kann man sich was wünschen. Was fällt Ihnen da ein?
Zum Beispiel, dass dem Senat nicht nur die wirtschaftlichen Interessen der Stadt am Herzen liegen. Es wird Zeit, die soziale Stadtentwicklung stärker voranzutreiben. Wir erwarten vor allen Dingen, dass die Berliner Landesregierung die vermutlich gleichfarbige Bundesregierung unter Druck setzt, um mietenpolitische Instrumente wie zum Beispiel die Begrenzung der Miete bei Wiedervermietung oder auch bei Modernisierung durchsetzt. Wohnungswirtschaft und Investoren nutzen die Umlagemöglichkeiten im Mietrecht bei Modernisierung derzeit extrem aus.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!