Affen im Zoo
Von Jürgen Amendt
Das politisch korrekte Leben ist keine einfache Sache. Man muss so viele Dinge berücksichtigen, will man nichts falsch machen.
Schon die Verwendung bestimmter Wörter ist problematisch. Darf ich zum Beispiel noch ein Zigeunerschnitzel bestellen, ohne den Wirt anschließend in einer politischen Grundsatzrede auf die Diskriminierung der Roma und Sinti aufmerksam zu machen?
Ist es noch richtig, Menschen mit dunkler Hautfarbe als Schwarze oder Farbige zu bezeichnen? Es gibt ja diesen neuen Begriff »POC«. Der kommt aus dem Englischen, heißt »People Of Color«, was allerdings übersetzt auch nichts anderes als »farbige Menschen« bedeutet. Inwieweit also »POC« weniger diskriminierend sein soll als »Farbiger«, erschließt sich mir nicht. Ganz abgesehen von der Frage, ob nicht die Zuschreibung eines Menschen anhand seiner Hautpigmentierung per se eine Diskriminierung darstellt.
Man kann den Menschen vorschreiben, Roma statt Zigeuner zu sagen, und dennoch werden die Rassisten unter uns im Kopf eben »Roma-Gesindel« denken. Gleiches gilt für die Bezeichnung »POC«. In bestimmten politischen Kreisen ist die Verwendung von »POC« allerdings mittlerweile ein Indiz dafür, zur Elite der politisch Erleuchteten zu gehören.
Solange es nur um die Sprache geht, kann man sich allerdings noch relativ leicht politisch korrekt verhalten, schwierig wird es aber, die alltäglichen Fallen zu umgehen. Schon ein Besuch im Zoo kann da problematisch sein. Und das nicht nur, weil es sich eigentlich politisch korrekt verbietet, wilde Tiere ihrer Freiheit zu berauben und sie in Käfigen zur Schau zu stellen.
Eine Bekannte unserer Familie hat das kürzlich bitter erfahren müssen. Sie war mit ihrer zweijährigen Tochter im Berliner Tierpark. Die Kleine hatte ihren Spaß. Angetan hatten es ihr vor allem die Schimpansen. Minutenlang stand sie vor deren Käfig und ahmte mit Freuden das Imponierverhalten der Affen nach. Anschließend fuhren Mutter und Tochter mit der U-Bahn wieder nach Hause. Als in das Abteil ein junger Mann mit dunkler Hautfarbe und Rastalocken einstieg, war die Zweijährige hellauf begeistert und begrüßte den neuen Fahrgast mit lauten Affengeräuschen, wobei sie in Schimpansenmanier die Arme hin und her schwenkte und sich unter den Achseln kratzte.
Der Mutter war das selbstverständlich hoch peinlich. »Entschuldigen Sie«, sagte sie zu dem jungen Mann, »meine Tochter und ich waren gerade im Zoo.« Schon während sie dies gesagt habe, erzählte sie uns später, sei ihr klar geworden, dass damit alles nur noch schlimmer geworden sei. Die Miene ihres Gegenübers jedenfalls sei vom Zustand der Verblüffung in den der Verärgerung übergegangen. Zum Glück fuhr in diesem Moment die U-Bahn in den Bahnhof ein und die Mutter konnte mit ihrer Tochter schnell den Wagen verlassen. Manchmal ist es in der Tat schwierig, politisch korrekt zu sein. Vor allem, wenn man Kinder hat.
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