Gleisverwerfung im Nahverkehr
Thüringen: Der Marktanteil der DB schrumpft - ein Wettbewerb auf Kosten der Eisenbahner
Knapp zwei Jahrzehnte sind nach dem Einstieg in die Privatisierung, Liberalisierung und Zerschlagung des Eisenbahnwesens vergangen. Inzwischen erodiert die Marktposition der Deutschen Bahn (DB) im staatlich subventionierten Schienenpersonennahverkehr (SPNV) vor allem in den östlichen Bundesländern zunehmend. So hält die DB-Tochter DB Regio in der Region Südost (Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen) derzeit einen Marktanteil von nur noch 65 Prozent - Tendenz fallend. Ab Ende 2015 muss sie das »Elektronetz Saale-Thüringen-Südharz« (STS-Netz) an die Essener Abellio Rail abgeben. So wollen es die unter der Federführung Sachsen-Anhalts zusammengeschlossenen Landesbehörden und Verkehrsverbünde. Das STS-Netz tangiert mehrere Länder beziehungsweise Städte wie Eisenach, Erfurt, Halle, Kassel, Göttingen und Leipzig. Vor allem in Thüringen wird damit der SPNV-Anteil der DB-Tochter bis Anfang 2016 auf ein Drittel schrumpfen. Den Rest teilen sich überwiegend Abellio und die kommunale Erfurter Bahn (EB) mitsamt Tochterbetrieben. Zustände wie in Großbritannien, dem Mutterland der Bahnprivatisierung, mit einem verschachtelten Nebeneinander verschiedener Firmen und Betreiber und damit einher gehenden Verwerfungen sind also auch in Thüringen Alltag.
Für Abellio, einstmals im Besitz eines spanisch-britischen Bankenkonsortiums und derzeit eine Tochter der niederländischen Staatsbahn NS, bringt das STS-Netz einen gewaltigen Schub auf dem hart umkämpften Markt des Personennahverkehrs auf der Schiene. Doch wo Wettbewerbsfanatiker viel Licht sehen, da ist auch viel Schatten. Während Abellio 350 neue Arbeitsplätze im STS-Bereich schaffen will, dürften gleichzeitig bei der DB Regio deutlich mehr Stellen für immer verschwinden.
So hat für viele in der Region verwurzelte und hoch motivierte Beschäftigte der DB Regio das große Zittern begonnen. Zwar verhindert der »konzernweite Arbeitsmarkt« im DB-Konzern, dass Eisenbahner direkt zur Arbeitsagentur gehen müssen, wenn ihr Arbeitsplatz wegfällt. Wer für bestimmte Tätigkeiten untauglich wird, kann auf eine Umschulung hoffen. Manche könnten auf Posten in fernen Ballungsgebieten im Westen wechseln. Ein Umzug oder ein Dasein als Wochenendpendler bedeuten aber meistens neuen Stress.
Gleichzeitig machen sich derzeit etliche DB Regio-Lokführer, Zugbegleiter, Werkstatt- und Reinigungskräfte Hoffnung auf eine Übernahme durch Abellio. Daneben setzt Abellio nach eigenen Angaben aber »auch auf die Gewinnung eigenen Personals«. Eine Altersbegrenzung für eine Einstellung werde es nicht geben, so ein Firmensprecher in Essen. Bislang wurden Reparaturen am Rollmaterial im Erfurter DB-Werk ausgeführt. Abellio will nun in Sangerhausen ein neues Werk aus dem Boden stampfen, schließt aber auch eine Teilnutzung der Erfurter Werkstattkapazitäten nicht aus. Auf jeden Fall dürfte es keinen 1:1-Übergang des Personals von DB Regio zu Abellio geben. Auch wenn für Abellio ein Branchentarifvertrag gilt, bietet das Unternehmen noch längst nicht die im DB-Konzern übliche Palette betrieblicher Sozialleistungen.
So bringt der staatlich gewollte und gepriesene »Wettbewerb« auch gesamtwirtschaftliche Folgekosten und für die Belegschaften vor allem Unsicherheit, Einschnitte und Brüche in der Erwerbsbiografie mit sich. Von Arbeitslosigkeit bedroht sind in diesen Wochen Beschäftigte der EB, die bislang im nördlichen Thüringen auf einem begrenzten Dieselnetz im Einsatz waren. Weil die EB hier bei der Ausschreibung der DB Regio unterlegen ist, könnten Beschäftigte mit befristeten Arbeitsverträgen ab Dezember auf der Straße stehen.
Die neuen Elektrozüge auf dem STS-Netz werden künftig auch als schnelle Zubringer für ICE-Züge auf der neuen Hochgeschwindigkeitsstrecke München-Erfurt-Berlin dienen, die 2017 in Betrieb gehen und die bisher über Saalfeld und Jena verlaufenden ICE-Fernverbindungen ersetzen soll. Dieser Teilrückzug des Fernverkehrs aus der Fläche soll dann mit STS-Regionalzügen kompensiert werden. Weil die staatlichen Mittel für den Regionalverkehr jedoch knapp sind, befürchten Insider als Konsequenz weitere Stilllegungen von SPNV-Nebenstrecken.
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