Der Präsident hat Angst
Die Rivalität zwischen Hannover und Braunschweig versetzt am Freitagabend Niedersachsen in Alarmbereitschaft
Fußball kann so simpel sein. Schnell war geklärt, wer für Abwehr und wer für Angriff zuständig ist, dann hatten sich die Vereinspräsidenten Martin Kind und Sebastian Ebel auch schon am Tischkicker postiert. Und beide brachten mit gekonnten Handgriffen das etwas unbeholfen an den Spielfiguren drehende Duo Boris Pistorius und Karl Rothmund in Verlegenheit. Es hat nicht lange gedauert, da bejubelten das Oberhaupt von Hannover 96 und der Chef von Eintracht Braunschweig gemeinsam einen Treffer gegen den niedersächsischen Minister für Inneres und Sport und den Präsidenten des Niedersächsischen Fußballverbandes. Dann folgte im Dämmerlicht eines Brauhauses in der Innenstadt von Hannover eine feierliche Umarmung.
Ein wenig anders dürfte es am Freitagabend in der Arena am Maschsee unter Flutlicht zugehen. Wenn sich die 1896 (Hannover) und 1895 (Braunschweig) gegründeten Traditionsvereine zum ersten Mal seit 37 Jahren wieder auf der Bühne Bundesliga duellieren, dann sprechen viele von der Auseinandersetzung mit dem höchsten Gefahrenpotenzial. Und explosiver Sprengkraft im Umfeld. Der ausgebildete Hörgeräteakustikmeister Kind, 69, und der studierte Wirtschaftswissenschaftler Ebel, 50, werben seit Tagen für Vernunft und Fairness. Sie haben es nach ihren wohlfeilen Wortbeiträgen sogar geschafft, eine Banderole zu entrollen. Mit beiden Vereinswappen. Und der Aufschrift: »Zwei Städte. Zwei Vereine. Eine Leidenschaft.« Doch für das Erinnerungsfoto hat es eine ganze Weile gedauert, bis im Gedränge die Kluboberen zusammenrückten. Eine Begebenheit mit Symbolcharakter.
Udo Nix, ehemaliger Spieler von Hannover 96, und Dietmar Erler, einstiger Profi bei Eintracht Braunschweig, glauben nämlich, dass nach dem letzten Bundesligaduell am 17. April 1976 es beide Fußballvereine fahrlässig versäumt haben, gegen die schwelende Rivalität überfällige Präventionsarbeit zu betreiben. »Das Thema ist immer mehr übertrieben worden«, lautet ihre These, »das hat den Chaoten Rückenwind gegeben.« Und es hat sich etwas angestaut. Nur einmal kam es noch zur Eruption der Emotionen, als vor zehn Jahren im DFB-Pokal die drittklassigen »Löwen« den erstklassigen »Roten« ein Bein stellten. Braunschweigs Chefcoach Torsten Lieberknecht, der damals als Eintracht-Einwechselspieler auf der Bank erlebte, wie sein heutiger Athletiktrainer Jürgen Rische per Elfmeter das 2:0 erzielte, glaubt, dadurch, dass man sich in der ersten Liga wiedersieht, »kommt noch ein Tropfen Öl dazu«. Tunlichst will sich niemand der Protagonisten als Brandstifter betätigen. Auch Kollege Mirko Slomka, gebürtiger Hildesheimer, hält den Ball ganz flach.
Nur: Schütten gemeinsame Radiospots der Trainer, offene Briefe der Spieler wirklich die Gräben der unbelehrbaren Anhänger zu? Guido von Cyrson, Einsatzleiter der Polizei Hannover, hat auf einer Podiumsdebatte Klartext geredet. »Wir wollen einerseits kein Szenario herbeireden, andererseits können wir nicht die Annahme verbreiten, dass alles friedlich bleibt. Schalke gegen Dortmund ist dagegen Kleinkram.« Bei der Polizei seien Spezialisten seit Monaten mit dieser Paarung beschäftigt, »die polizeilichen Vorbereitungen sprengen deutlich den Rahmen« (von Cyrson).
Fakt ist, dass allein 700 Ordnungskräfte des Vereins im Einsatz sind und die so genannte »Raumschutzzone« der Polizei bis nach Celle und Hildesheim reicht. Erstaunlich, dass das gewaltsuchende Klientel nun im teils unübersichtlichen Areal am Maschsee im Schutz der Dunkelheit agieren kann. »Diese Rahmenbedingungen sind nicht ideal«, heißt es von Polizeiseite, während Hannovers Stadionchef Thorsten Meier den Freitagabend als »Polizeiwunsch« hingestellt hat, damit sich nicht am Samstag am Fußball-Drehkreuz Hannover noch andere Störenfriede einschalten. Und der Sonntag als Spieltermin wäre wegen des vierten Todestags von Robert Enke »völlig unangemessen und inakzeptabel« (Kind) gewesen.
Selbst Hannovers Fanbeauftragter Johannes Seidel kann keine isolierte Ursache für die verwurzelte Antipathie nennen. Klar hat eine Episode aus den Gründerzeiten der Liga eine Rolle gespielt, als die kleineren Braunschweiger in die Bundesliga aufgenommen wurden, das größere Hannover blieb draußen. Vielleicht mischen in diesem Massenphänomen unkalkulierbare Faktoren mit? Gerade soll gegen einen Mitarbeiter der Stadt Hannover, der in seinem Schreiben Braunschweig als die »verbotene Stadt« bezeichnete, ein Disziplinarverfahren eingeleitet worden sein. Rührt der von Ebel dieser Tage gerne zitierte »Behauptungswille aus dem gallischen Dorf Braunschweig« wirklich daher, dass die Löwenstadt im 17. Jahrhundert an politischer Macht verlor, während die Herrscher an der Leine zu Kurfürsten erhoben wurden? Kind will diese geschichtlichen Bezüge als Deutungsmuster für Ausschreitungen heute nicht gelten lassen. »Eigentlich kennen die jungen Fans diese Historie doch gar nicht, und dennoch hat das Spiel diesen brisanten Charakter.« Ebel rätselt im Grunde auch. Und fügt nur noch an: »Ich habe ein bisschen Angst.«
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