Widerstand in Weimar

Bewohner des Blechbüchsenviertels wehren sich gegen Abrissbirne

  • Anja Ulbricht, Weimar
  • Lesedauer: ca. 2.0 Min.

Auch im Weimarer Blechbüchsenviertel wird Stadtumbau Ost betrieben. Die Bewohner wollen sich indes nicht so einfach umsiedeln lassen.

Seit Oktober werden die ersten Wohnungen im Wohngebiet »Landfried« abgerissen. Eine flächendeckende Rekonstruktion des Blechbüchsenviertels mit den einstigen Notwohnungen aus den zwanziger Jahren im Weimarer Westen wurde vom Stadtrat aus wirtschaftlichen Gründen bereits vor zwei Jahren verworfen. Doch zahlreiche Mieter wollen die mit Holzschindeln verkleideten Häuser nicht verlassen. Ursprünglich waren die inzwischen legendären Blechbüchsen als Behelfswohnungen für Angehörige der Gustloff-Werke erbaut worden. Die Siedlung »Landfried« war für eine Nutzungsdauer von 60 Jahren konzipiert worden. Inzwischen sind 80 Jahre verstrichen - und viele Menschen leben noch immer hier. »Ich wohne seit 1952 im Landfried«, erklärt ein Rentner selbstbewusst. Eine ältere Anwohnerin mischt sich in unser Gespräch ein: Sie lebe seit 27 Jahren hier und denke nicht daran, nun einfach alles aufzugeben. Im Januar 2003 hatte der Bauausschuss den Abriss der Wohnungen befürwortet und die Mittel aus dem Förderprogramm »Stadtumbau Ost« genehmigt. Der hohe Sanierungsaufwand habe die Erhaltung des einzigartigen städtebaulichen Ensembles nicht gerechtfertigt, erklärt Rita Augner, die Geschäftsführerin der Weimarer Wohnstätte GmbH. »Wir wollen jedoch den Siedlungscharakter erhalten«, ergänzt sie. Das Unternehmen wolle Reihenhäuser errichten, die dann zum Kauf angeboten werden. Doch die Wohnstätte macht ihre Rechnung offenbar ohne die Mieter. »Wir haben hier alles, was wir zum Leben benötigen«, argumentiert eine Frau gegen die Umgestaltungspläne. »Schon vor der Wende wurden wir mit Versprechungen und Vertröstungen hingehalten. Uns wurde angeboten, die Wohnungen selbst zu sanieren.« Das habe man eifrig und voller Stolz getan. Hier stecke nicht nur Geld in den Wänden, erklärt die Bewohnerin. Dächer, Heizungen, Küchen und Bäder seien erneuert worden. Bis heute schreibe man das Wörtchen »Eigeninitiative« ganz groß. »Wir wissen, dass in der heutigen Zeit Nachbarschaft und Zuverlässigkeit nicht mehr so viel zählen«, flüstert mir eine ältere Frau ins Ohr. »Hier bei uns im Landfried ist das allerdings ganz anders.« Für Geschäftsführerin Rita Augner sind das allerdings keine stichhaltigen Argumente. Sie will vom Miteinander und vom abendlichen »Grillen« der Blechbüchsen- Bewohner nichts wissen. »Wir bieten den Menschen selbstverständlich Wohnungen aus unseren Beständen an«, erklärt sie. Außerdem werde der Umzug gefördert, und es würden »individuelle Abstimmungen« getroffen. Dem älteren Mann, der seit 1952 den »Landfried« bewohnt, reichen derlei Versprechungen nicht. »Hier bekommt mich keiner raus«, erklärt er selbstbewusst und schränkt dann ein: »Und wenn, dann mit den Beinen zuerst.« Rita Augner sagt, es sei überhaupt noch nicht raus, wann die Leute hier gehen müssten. »Mieter und Stadt werden aufeinander zugehen müssen, damit aus den alten Häusern neue werden können.« Inzwischen wühlt sich die Abrissbirne durch ein Mauerwerk. Eine Baufirma aus dem Weimarer Land bewegt die schwere Räumtechnik. Zehn Gebäude würden abgerissen, heißt es. Derweil wissen die verblieben Bewohner aus dem »Landfried« noch immer...

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