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Mangelwirtschaft
Für Instandsetzung der Schienenstrecken fehlen zwei Milliarden Mark Von Hendrik Lasch, Chemnitz
In Sachsen fehlen zwei Milliarden Mark, um Schienenstrecken für den Regionalverkehr instand zusetzen. Die Deutsche Bahn (DB) AG beklagt mangelnden politischen Willen zur Flächenbahn und kündigt weitere Stilliegungen an.
Vor gut einer Woche stand zwischen Cranzahl und Bärenstein eine EndabnaTime an. Fünf Kilometer Gleis hatte die Bahn zwischen den beiden Erzgebirgsorten überholt. Sehr gründlich hätten die Verantwortlichen aber nicht prüfen müssen. Züge rollten auf den neuen Schienen nur bis gestern. Weil der angrenzende Streckenabschnitt völlig marode ist, wird das Schlussstück der Kursbuchstrecke 517 von Chemnitz über Annaberg-Buchholz ins tschechische Vejprty auf absehbare Zeit stillgelegt.
Eine definitive Entscheidung über die Zukunft der Strecke sei zwar noch nicht gefallen, heißt es in der Regionalzentrale der Deutschen Bahn AG in Dresden. Aller dings stehe derzeit bekanntlich das gesamte regionale Streckennetz auf dem Prüfstand. Insgesamt 9000 Schienenkilometer im Nebennetz will Bahnchef Hartmut Mehdorn abstoßen. Investitionen «ins Blaue hinein», so eine Sprecherin der DB Regio, seien daher momentan nicht zu erwarten. Die Bemerkung entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Seit 1992 sind zwischen dem nunmehrigen Endbahnhof Wolkenstein und der Grenze neben den erwähnten fünf Gleiskilometern auch zwei Viadukte überholt worden. Wieviel Geld dafür ausgegeben wurde, ist nicht zu erfahren. Auszugehen ist von zweistelligen Millionensummen: Die DB-Sprecherin beziffert die Kosten für einen Schienenkilometer auf bis zu 50 Millionen Mark, wenn Brücken eingeschlossen sind.
Im Ersatzverkehr fährt die Bahn auch zwischen Pockau und Marienberg. 24 Millionen Mark hatte die DB dort investiert, bevor ein Hochwasser tonnenweise Gleisbett mit sich riss. Inzwischen läuft das Stilllegungsverfahren, bestätigte die Bahn pünktlich zum Fahrplanwechsel. Selbst Kritiker müssen einräumen, dass angesichts des geringen Fahrgastaufkommens wenig dafür spricht, nochmals Schäden von elf Millionen Mark zu beheben.
Weit weniger plausibel ist die Sperrung der Strecke zwischen Glauchau und Großbothen. Grund ist eine schadhafte Weiche, deren Reparatur einen Bautrupp nach Meinung von Fachleuten ganze acht Stunden beschäftigen würde.
Doch die von Mehdorn zu bedingungsloser Wirtschaftlichkeit verdammte Bahn muss inzwischen an allen Ecken und Enden knausern. Auf satte zwei Milliarden Mark beziffert Martin Weiß, kaufmännischer Leiter bei der DB Dresden, den Betrag, der allein in Sachsen für die Instandsetzung der Schienenwege fehlt. Die Grüne Liga spricht gar von sieben bis zehn Milliarden Mark. Das Netz werde zunehmend marode, gestand Weiß auf einem Forum anlässlich der 3. Sächsischen Schienentage der PDS am Freitag in Chemnitz: «Die jetzigen Sperrungen sind nur weitere Punkte auf einer langen Linie. Sie sind weder ihr Anfang noch ihr Ende.»
Woher das Geld kommen soll, ist strittig. Gesetzlich sei nur geregelt, dass die Bahn «Kosten für die Instandhaltung» tragen soll, nicht «die Kosten», sagt Winfried Wolf von der PDS-Bundestagsfraktion. Die Bahn sieht denn auch den Freistaat in der Verantwortung, der seit der Regionalisierung im Zuge der Bahnreform für den Nahverkehr zuständig ist. Der schiebt die Verantwortung an die regionalen Ver kehrsverbünde weiter. Dass deren Votum im Zweifelsfall wenig zählt, belegt die Strecke Pockau-Marienberg. Die wird stillgelegt, obwohl der Verkehrsverbund Mittelsachsen eine Bestellgarantie über 20 Jahre abgab.
Ob die Einstellung dieser Strecke wirk lieh schwer wiegt, ist Ansichtssache. «Von Marienberg nach Chemnitz fahren die Leute ohnehin mit dem Bus», sagt Günther Müller, Betriebsleiter bei der Karsdorfer Eisenbahngesellschaft mbH, einer auch in Sachsen aktiven Privatbahn: Wichtiger seien radikale Fahrzeitverkür zungen etwa zwischen Chemnitz und Leipzig. Tendenziell aber untergrabe jede Streckenstillegung den eigenen Anspruch der Bahn auf Wirtschaftlichkeit, sagt die sächsische PDS-Verkehrspolitikerin Katja Kipping: «Jeder Fluss, der zum Meer fließt, braucht seine Zubringerflüsse.»
Die Ausgliederung der 9000 Streckenkilometer bezeichnet Wolf in diesem Zusammenhang als «Notschlachtung». Dabei drohen sogar äußerst vitale Netzteile unters Messer zu kommen: Auf einem Teil der als Expo-Projekt firmierenden Vogtlandbahn beginnt die Bahn ausgerechnet zum Expo-Beginn mit angeblich dringend notwendigen Bauarbeiten. Das Vorzeige- Schienennetz erreicht man daher momentan per Ersatzverkehr.
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