Akkurat Meldung gemacht
STECHBARTHS SPEICHER
Jeder lebt sein Leben, und speichert es in seinem Bewusstsein. Horst Stechbarth hat den Speicher abgerufen und Erinnerungen und Erlebnisse aus fünf Jahrzehnten aufgeschrieben. Das ist löblich, denn es beginnen sich die Reihen derer zu lichten, die die DDR mitgestaltet und deren bewaffnete Organe mit aufgebaut haben. Und wenn ein Mensch stirbt, »verbrennt« eine Bibliothek. Und Erich Kästner wusste zudem: »Die Erinnerung ist eine mysteriöse Macht und bildet den Menschen um, wer das, was schön war, vergisst, wird böse. Wer das, was schlecht war, vergisst, wird dumm.«
Für Zeitgenossen und Nachgeborene erinnert sich Stechbarth. Sein Soldatsein im Osten begann mit Front-einsatz als Wehrmachtsan-gehöriger im Raum Kirowograd und Kriegsgefangenschaft in Stalingrad. Er machte in der von Deutschland überfallenen Sowjetunion die Bekanntschaft mit Menschen, denen seine Landsleute viel Leid angetan haben, »Menschen, die mich auch nach 1948 als Soldat begleiteten, mir halfen, militärwissenschaftliche Kenntnisse zu erwerben«. Der Grenzpolizeiausbilder wird Regimentskommandeur der KVP und stellvertretender Divisionskommandeur. Der Generaloberst a. D. erinnert sich an die Paraden der NVA, wo er - der Fernsehzuschauer-Ost wird sich erinnern - akkurat-preußisch seine Meldung an den Minister für Nationale Verteidigung abzusetzen hatte. Natürlich wird auch über die Manöver »Waffenbrüderschaft« 1970 und 1980 berichtet, ebenso über die Zusammenarbeit mit sowjetischen Militärs, über Bildung und Aufbau von Schulen und anderen militärischen Einrichtungen.
Mit einem guten Selbstwertgefühl ist der Autor ausgestattet. Er blickt mit Stolz zurück. »Soldat im Osten - das sind 40 Jahre Dienst in den bewaffneten Kräften der DDR. Überzeugt von der Notwendigkeit der Landesverteidigung habe ich meine Pflicht für die Deutsche Demokratische Republik, diesen anderen deutschen Staat und seine Bürger, erfüllt.«
Stechbarth gibt Einblicke in die Entwicklung der vor nunmehr 50 Jahren gegründeten und seit über 15 Jahrren nicht mehr existenten NVA. »Nicht alles verlief erfolgreich oder gar reibungslos ...« Er räumt ein, dass nicht alles vernünftig und produktiv war, was von der Sowjetunion übernommen worden ist. »Etliches wurde korrigiert, vieles aber belastete uns bis zum letzten Tage, wie der unverhältnismäßig hohe Anteil von Offiziersplanstellen, die mangelnde Konzentration auf die Heranbildung eines leistungsfähigen und geachteten Unteroffizierskorps als das Rückgrat jeder Armee, der aufgeblähte Politapparat, der unverhältnismäßig große Umfang und Einfluss der Staatssicherheit. (Was nicht heißt, dass Politoffiziere und Militärabwehr keine Existenzberechtigung hätten).«
Trotz dieser und anderer Mängel in Armee und im Staat hat der 1925 geborene Stechbarth die DDR immer als den besseren und verteidigungswürdigen deutschen Staat empfunden. Vieles von dem, was über Nacht liquidiert wurde, wo westdeutsche Gesetze und Verordnungen übergestülpt wurden, sei bewahrenswert gewesen. Natürlich kann man gesellschaftliche Entwicklungen verschieden interpretieren. Die Frage ist aber immer: Von wem und zu welchem Zweck?
Heute wird die NVA von den Medien und auch teils von Vertretern der Geschichtswissenschaft als eine Armee denunziert, die eine »Diktatur«, ein »Unrechtsregime« gestützt habe, ihre Geschichte wird im Auftrag der Politik verfälscht. Dabei werden zugleich deren ehemalige Angehörige verleumdet, beleidigt, diskreditiert. Das Negativbild kann nicht schwarz genug ausgemalt werden.
Doch noch können tausende Berufssoldaten und auch zigtausende Wehrpflichtige ihre Erfahrungen, ihre Sicht diesem Schwarz-Weiß-Bild entgegensetzen. Wie es Horst Stechbarth jetzt mit seinen Lebenserinnerungen - pünktlich wie ein Preuße - rechtzeitig zum NVA-Jubiläum tat.
Dieses Buch ist zur Lektüre wärmstens zu empfehlen, nicht nur ehemals Gedienten. Vor allem auch Bürgern aus den alten Bundesländer...
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