Sonderbare Hebamme

Critchfield, Gehlen und die Geburtswehen des BND

  • Erich Schmidt-Eenboom
  • Lesedauer: ca. 3.0 Min.
Vielschichtig sind die Erinnerungen des Mannes, der im Auftrag der CIA von 1949 bis 1956 die Organisation Gehlen beaufsichtigte. Da werden Eindrücke eines Besatzungsoffiziers im besiegten Deutschland und Österreich geboten, zeitgeschichtliche Beobachtungen, Innenansichten der Organisation Gehlen sowie Geschichten aus dem Geheimdienstdschungel der 50er Jahre mit substanziellem Neuigkeitswert. James H. Critchfield zeichnet ein subtil vernichtendes Psychogramm Reinhard Gehlens, dem er Misstrauen bis hin zur Paranoia und eine zeitweise getrübte Urteilsfähigkeit, eine »argwöhnische und gelegentlich hysterische Natur« sowie die Neigung zu »politischen Machenschaften« bescheinigt. Er offenbart unbekannte Tiefpunkte in der Karriere des ersten BND-Präsidenten, dessen Weiterbeschäftigung in US-Diensten mehrfach auf Messers Schneide stand. So wollte sich z.B. der US-Nachrichtendienst Anfang 1950 von Gehlen trennen, als dieser sich um das Amt des Verfassungschefs bemühte, dabei am Widerstand der Briten scheiterte und den Zorn des US-Hochkommissars John McCloy auf sich zog. Im April 1950 drohte Gehlen selbst zum wiederholten Male die Selbstauflösung seiner Truppe an, weil er mit dem Misstrauen und der Knauserigkeit seines amerikanischen Brotherrn haderte. Und 1954 beschloss der Generalstab des US-Heeres in Washington, wegen der Unterwanderung der Organisation Gehlen durch Ostagenten Maßnahmen einzuleiten, die Adenauer bewegen sollten, Gehlen fallen zu lassen. Ursächlich hierfür war die »Operation Campus« des Counter Intelligence Corps der US-Streitkräfte in Offenbach, die - ohne Wissen der CIA, wie Critchfield beteuert - Gehlens Apparat ausspähte und sich dabei auf Leute wie den Gestapomann und Leiter einer Generalvertretung, Alfred Benzinger, stützen konnte. Der CIA-Veteran erinnert an den frühen, seit Sommer 1954 keimenden Verdacht der CIA gegen Gehlens Protegé Heinz Felfe. Dessen Enttarnung als KGB-Spion stürzte den BND 1961 in eine der tiefsten Krisen in seiner Geschichte und belastete den Informationsaustausch der CIA mit dem Ziehkind arg. Hebamme Critchfield skizziert das Personal im engsten Führungszirkel, darunter den aus »Fremde Heere Ost« stammenden Alter Ego Gehlens, Heinz Danko Herre, und den ehemaligen Leiter des Militärattaché-Dienstes im »Dritten Reich« Horst von Mellenthin vom Stab für besondere Beziehungen. In den USA ist diesen Memoiren entgegen gehalten worden, sie unterschlügen die Durchsetzung der Organisation Gehlen mit ehemaligen Angehörigen der SS-Sicherheitsdienste - zu Unrecht, meint Ex-BND-Präsident Hans-Georg Wieck im Vorwort. Tatsächlich verkürzt Critchfield die NS-Belastung der Organisation Gehlen unzulässig auf den Kreis um die für Spionageabwehr zuständige Karlsruher Generalvertretung und übersieht die zahlreichen, in anderen Außenstellen reüssierenden Gestapo-Leute. Das verzweigte Netz von General- und Untervertretungen, von Filialen und kleinsten Residenturen bleibt unerwähnt, die Organisations Gehlen weitestgehend auf das Camp Nikolaus in Pullach und die dort mit monatlich 125 000 US-Dollar ausgestatteten 300 Mitarbeiter beschränkt. Auch über das operative Spionagegeschäft erfährt der Leser nichts nennenswert Neues. Die frühen Erfolge beim Gewinn hochrangiger Innenquellen in der DDR und die anschließende Kette der Misserfolge nach der Gegenoffensive des MfS ab 1955 werden nur kursorisch abgehandelt. Einzig die erfolgreiche Aufklärung der sowjetischen Luftstreitkräfte durch Gehlens Horchfunker während der sowjetischen Blockade Berlins 1948 wird hervorgehoben, weil sie maßgeblich für die Entscheidung der CIA war, die Organisation Gehlen in ihre Dienste zu stellen. Dafür nimmt eine in der Geheimdienstliteratur bisher nur stiefmütterlich behandelte Rolle der Organisation Gehlen breiten Raum ein: als Denkfabrik und Personalreservoir für die Remilitarisierung Westdeutschlands, angeführt von den Generalen Adolf Heusinger und Hermann Foertsch und bis Ende 1949 eine auch vor den West-Alliierten verborgene Geheimsache. Unter maßgeblichem Einfluss Pullachs wurde 1952 die Himmeroder Denkschrift verfasst, Grundstein für die Bundeswehr und deren Integration in westliche Militärbündnisse. Auch dabei erfuhr man Unterstützung durch die CIA; sie öffnete beim US-Hochkommissar John McCloy die gewünschten Türen und räumte die letzten, noch in London bestehenden Hindernisse aus dem Wege. Über die Zeit nach 1956 verbreitet der im April 2003 verstorbene Autor nur Gesellschaftsnachrichten über anhaltend gute private Kontakte zu westdeutschen Spitzengeheimdienstlern. Insgesamt bietet Gehlens Counterpart ein unbequemes Geschenk zum 50. Geburtstag des erneut heftig angeschlagenen BND, zu dem jener selbst außer einem ARD-Zweiteiler der Rubrik »Dau...

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