Nichts für Feingeister

Der Räuber Hotzenplotz von Gernot Roll

  • Ralf Schenk
  • Lesedauer: 3 Min.
Für alle, die im deutschen Westen aufwuchsen, gehörten Otfried Preußlers 1962 und 1972 publizierte Bücher um den »Räuber Hotzenplotz« zur unabdingbaren Kindheitslektüre. Inzwischen hat diese Generation ihre eigenen Sprösslinge: Was also lag für einen Filmproduzenten näher, als noch einmal auf diese Geschichten zurückzugreifen, um so Väter und Söhne, Mütter und Töchter gemeinsam und in Scharen ins Kino zu locken. Produzent Ulrich Limmer, der zuletzt die »Sams«-Adaptionen verantwortete, nutzte diese Chance. Er ließ sich weder von der bereits vorhandenen, 1973/74 entstandenen Verfilmung mit Gert Fröbe noch von Vorbehalten des Autors bremsen, der erst dann seine Zustimmung zu geben bereit war, als ihm versichert wurde, dass die Poesie seiner Erzählungen gewahrt bleibt. Für die Inszenierung gewann Limmer Gernot Roll, einen herausragenden Kameramann, der seit zwölf Jahren auch Regie führt, dabei aber, siehe »Ballermann 6« (1997), nicht unbedingt durch Geschmackssicherheit auffiel. Auch »Der Räuber Hotzenplotz« ist für Feingeister eher nicht gedacht. Mit dem Entreebild einer Guckkastenbühne, deren Vorhänge sich öffnen und den Blick aufs Geschehen freigeben, signalisiert Roll vielmehr, dass er sich der gröberen Stilmittel des Kasperletheaters bedienen wird. Tatsächlich wirken die Figuren derb und poltrig wie aus Holz geschnitzt: Armin Rohde, den man hinter seiner Maske kaum erkennt, reißt die Augen weit auf und stampft wie ein Berserker durch die knallbunte Szenerie; Christiane Hörbiger gibt die gütige Großmutter, Katharina Thalbach eine handfeste Kartenlegerin, die sich in den zappligen Wachtmeister Piet Klocke verliebt, und Rufus Beck einen Zauberer, der eine schöne Fee in eine Unke zu verwandeln versteht. Nicht zuletzt wurden die Kinderdarsteller Martin Stührk und Manuel Steitz gut ausgewählt, die als Identifikationsfiguren für ein Publikum zwischen Drei und Zehn dem Räuber auf die Schliche kommen und alles zum Guten wenden. So begeistert alle Mitwirkenden bei der Sache gewesen sein mögen: Ein Schritt vorwärts für den deutschen Kinderfilm ist »Der Räuber Hotzenplotz« dennoch nicht. Trotz Farben und illustrer Tricks wirkt er wie ein staubiges Relikt aus den vierziger, fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Bieder im Geist, plätschert er ohne wirklichen Pep dahin, macht das Austricksen des tumben Räubers zum dramaturgischen Dauerzustand. Die Figuren verfügen über keine Entwicklungsmöglichkeit; von Charakteren kann nicht die Rede sein; psychologische Vertiefungen waren nie geplant. Alles jagt nach dem schnellen Lacher, alles bleibt an der Oberfläche. Nach Ansicht des Films ließe sich schnell zur Tagesordnung übergehen, würde »Der Räuber Hotzenplotz« nicht symptomatisch für derzeitige Tendenzen im deutschen Kinderkino stehen. Schon seit längerem ist eine fast vollkommene Flucht aus der Wirklichkeit zu erkennen. Reale Probleme von Kindern werden auf der Leinwand tunlichst umgangen, tatsächliche Konflikte weitgehend ausgeblendet. Der erste Satz in der Inhaltsangabe des Presseheftes zu »Räuber Hotzenplotz«, »Eine idyllische Stadt in bayerischen Landen. Irgendwann, nur nicht heute«, spricht Bände. Deutsche Kinderfilme scheuen aufklärerische, gar gesellschaftskritische Momente wie der Teufel das Weihwasser. Arbeitslose Väter? Fehlanzeige! Leben unter Hartz-IV-Bedingungen? Aber doch nicht auf der Kinderleinwand! Gedreht wird, was ablenkt. Und was Geld bringt. Da feiern die Erich-Kästner-Romane ihre fröhliche Wiederauferstehung, werden in die Gegenwart gehievt und spielen doch wie auf fernen Planeten. Das Märchen von »Hänsel und Gretel« wird adaptiert, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, ob es - zumal in Deutschland! - angebracht ist, einen Stoff aufzugreifen, in dem ein Mensch in einen Ofen geschoben und dort verbrannt wird. Unter dem Rubrum »Family Entertainment« scheint inzwischen alles zu gehen, nur nicht der ernsthafte Blick auf den realen Alltag. Den gibt es nach wie vor im schwedischen oder dänischen Kinderfilm, oder im osteuropäischen.

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