Konkurrenz für Kortison

Neue Medikamente gegen entzündliche Krankheiten auf dem Markt

Rheuma, Arthritis, Asthma, Morbus Crohn. Seit rund 60 Jahren sind diese und andere chronisch-entzündliche Krankheiten behandelbar. Mit dem künstlich hergestellten Hormon Kortison. Doch dem einst gefeierten »Kortisonwunder« folgte alsbald die »Kortisonangst« - wegen der Nebenwirkungen. Seit kurzem sind Alternativen auf dem Markt. Orthokin und Protopic werden in Boulevardblättern bereits als »Jahrhundertentdeckungen« gefeiert. Was ist da dran? Mit Dr. Dirk Stichtenoth, Leiter des Instituts für klinische Pharmakologie der Medizinischen Hochschule in Hannover sprach Volker Macke.

ND: Die Angst vor Nebenwirkungen erhöht die Nachfrage nach Alternativen zu Kortison. Jetzt sind Orthokin und Protopic auf dem Markt. Sind sie ernst zu nehmende Konkurrenten zum umstrittenen Hormonpräparat Kortison?
Stichtenoth: Richtig ist zunächst, dass man bei den Kortikoiden, der Gruppe der Kortisonpräparate, immer noch mit heftigen Nebenwirkungen rechnen muss. Zwar konnten spezielle Kortikoide beispielsweise für Asthmatiker oder Darmpatienten in den vergangenen Jahren so weit verbessert werden, dass sie bereits an Ort und Stelle weitgehend wieder abgebaut werden. Sie sind also für den restlichen Körper sicherer geworden. Allerdings kommt es immer noch auf die richtige Behandlung an, damit die Nutzen-Risiko-Relation stimmt.

Was kann denn bei einer langfristigen Einnahme von hochdosiertem Kortison passieren?
Grauer Star und Diabetes können in Folge entstehen. Knochenabbau, auch Osteoporose genannt, ist eine weitere ernste Nebenwirkung. Hautveränderungen, Bluthochdruck und Wassereinlagerungen andere. Und schon bei kurzfristiger Therapie mit Kortison kann es zu Schwindel, Nervosität, Kopfschmerzen und Euphorie kommen.

Kann das neue, körpereigene, Orthokin quasi als Eigenbluttherapie das Kortison ersetzen?
Nein. Derzeit gibt es keine ernsthaften klinischen Studien, die seine Wirksamkeit beweisen. Die Idee aber klingt erstmal plausibel. Mittels einer Spezialspritze wird dem Patienten Blut entnommen. Die spezielle Oberfläche des Inneren der Spritze regt bestimmte Blutzellen dazu an, in Massen ein entzündungshemmendes Protein zu bilden. Das so etwas technisch möglich ist, ist bekannt. Dieses in großen Mengen gebildete Protein richtet sich gegen den Botenstoff Interleukin-1, der entzündliche Prozesse hervorruft. Das Orthokin könnte also theoretisch bei allerlei Entzündungen wirksam sein. Aber es ist nicht ausreichend getestet und viel zu teuer. Dass man ihm Erfolge bei der Behandlung von starken entzündlichen Rückenschmerzen, Rheuma oder anderen Bindegewebserkrankungen zuschreibt, ist leider mehr Marketingdruck als medizinisch bewiesen.

Wie sieht es mit Protopic aus?
Dieses Medikament ist eine ernst zu nehmende Alternative zu Kortison bei Hauterkrankungen wie Neurodermitis. Es ist in Studien bereits gut untersucht. Allerdings ist auch Protopic beileibe nicht frei von Nebenwirkungen. Der darin enthaltene Wirkstoff Tacrolimus wird schon länger zur Immununterdrückung nach Organtransplantationen eingesetzt. Über die Haut aufgenommen gelangt das Medikament dann ebenso in den Körper wie Kortison. Bisher ist die Behandlung mit Protopic allerdings teuer und wird nicht immer von den Kassen übernommen.

Manche Menschen benutzen kortisonhaltige Salben und Nasensprays bei Heuschnupfen. Ist das empfehlenswert?
Bei sorgfältiger Verschreibung und bestimmungsgemäßer Anwendung sind kortisonhaltige Salben und Nasensprays sehr wertvolle Arzneimittel. Als örtliche Nebenwirkungen ist Verdünnung der Haut- bzw. Schleimhaut möglich, Auswirkungen auf den übrigen Körper selten. Gewarnt werden muss aber vor Selbstmedikation, zum Beispiel aus »Restbeständen« oder Gefälligkeitsverordnungen.

Kortison - das Rindenhormon
Kortison-Präparate sind Medikamente, die die Wirkungen der körpereigenen Hormone Kortisol und seiner Vorstufe Kortison nachahmen. Kortisol und Kortison werden in der Nebenniere gebildet, einer Drüse oberhalb der Nieren, die auch Adrenalin und Sexualhormone produziert.
Der Name Kortison wurde nach deren Entdeckung in den 30er Jahren gewählt, weil diese Hormone der äußeren Schicht (Rinde, lateinisch Cortex) der Nebenniere entstammen. Auch die wissenschaftliche Bezeichnung für die Kortison-Präparate, Glukokortikoide oder Kortikosteroide, leitet sich so ab. Kortisol und Kortison werden natürlicherweise in Stößen rund um die Uhr freigesetzt, besonders in den frühen Morgenstunden. Sie regulieren das Immunsystem als Gegenspieler entzündungsfördernder Botenstoffe, hemmen das Gewebewachstum, stellen »Brennstoffe« wie Traubenzucker, Fettsäuren und Eiweißbausteine bereit und organisieren die vermehrte Speicherung von Wasser und Kochsalz.
Bei körperlichen und psychischen Stresssituationen wird Kortisol als Stresshormon vermehrt gebildet und hilft dem Körper, die Belastung zu bewältigen. 1948 gelang es zum ersten Mal, Kortison in ausreichender Menge künstlich herzustellen. Der therapeutische Einsatz von Kortison in Dosen weit oberhalb der körpereigenen Hormonbildung führte zum »Kortisonwunder«: Patienten mit zuvor nicht behandelbaren chronisch-entzündlichen Erkrankungen zeigten unter Kortison eine dramatische Besserung. Genutzt wurde und wird dabei die starke akut entzündungshemmende und langfristig das Immunsystem dämpfende Wirkung von Kortison und seiner modernen Nachfolge-Präparate. macND: Die Angst vor Nebenwirkungen erhöht die Nachfrage nach Alternativen zu Kortison. Jetzt sind Orthokin und Protopic auf dem Markt. Sind sie ernst zu nehmende Konkurrenten zum umstrittenen Hormonpräparat Kortison?
Stichtenoth: Richtig ist zunächst, dass man bei den Kortikoiden, der Gruppe der Kortisonpräparate, immer noch mit heftigen Nebenwirkungen rechnen muss. Zwar konnten spezielle Kortikoide beispielsweise für Asthmatiker oder Darmpatienten in den vergangenen Jahren so weit verbessert werden, dass sie bereits an Ort und Stelle weitgehend wieder abgebaut werden. Sie sind also für den restlichen Körper sicherer geworden. Allerdings kommt es immer noch auf die richtige Behandlung an, damit die Nutzen-Risiko-Relation stimmt.

Was kann denn bei einer langfristigen Einnahme von hochdosiertem Kortison passieren?
Grauer Star und Diabetes können in Folge entstehen. Knochenabbau, auch Osteoporose genannt, ist eine weitere ernste Nebenwirkung. Hautveränderungen, Bluthochdruck und Wassereinlagerungen andere. Und schon bei kurzfristiger Therapie mit Kortison kann es zu Schwindel, Nervosität, Kopfschmerzen und Euphorie kommen.

Kann das neue, körpereigene, Orthokin quasi als Eigenbluttherapie das Kortison ersetzen?
Nein. Derzeit gibt es keine ernsthaften klinischen Studien, die seine Wirksamkeit beweisen. Die Idee aber klingt erstmal plausibel. Mittels einer Spezialspritze wird dem Patienten Blut entnommen. Die spezielle Oberfläche des Inneren der Spritze regt bestimmte Blutzellen dazu an, in Massen ein entzündungshemmendes Protein zu bilden. Das so etwas technisch möglich ist, ist bekannt. Dieses in großen Mengen gebildete Protein richtet sich gegen den Botenstoff Interleukin-1, der entzündliche Prozesse hervorruft. Das Orthokin könnte also theoretisch bei allerlei Entzündungen wirksam sein. Aber es ist nicht ausreichend getestet und viel zu teuer. Dass man ihm Erfolge bei der Behandlung von starken entzündlichen Rückenschmerzen, Rheuma oder anderen Bindegewebserkrankungen zuschreibt, ist leider mehr Marketingdruck als medizinisch bewiesen.

Wie sieht es mit Protopic aus?
Dieses Medikament ist eine ernst zu nehmende Alternative zu Kortison bei Hauterkrankungen wie Neurodermitis. Es ist in Studien bereits gut untersucht. Allerdings ist auch Protopic beileibe nicht frei von Nebenwirkungen. Der darin enthaltene Wirkstoff Tacrolimus wird schon länger zur Immununterdrückung nach Organtransplantationen eingesetzt. Über die Haut aufgenommen gelangt das Medikament dann ebenso in den Körper wie Kortison. Bisher ist die Behandlung mit Protopic allerdings teuer und wird nicht immer von den Kassen übernommen.

Manche Menschen benutzen kortisonhaltige Salben und Nasensprays bei Heuschnupfen. Ist das empfehlenswert?
Bei sorgfältiger Verschreibung und bestimmungsgemäßer Anwendung sind kortisonhaltige Salben und Nasensprays sehr wertvolle Arzneimittel. Als örtliche Nebenwirkungen ist Verdünnung der Haut- bzw. Schleimhaut möglich, Auswirkungen auf den übrigen Körper selten. Gewarnt werden muss aber vor Selbstmedikation, zum Beispiel aus »Restbeständen« oder Gefälligkeitsverordnungen.

Kortison - das Rindenhormon
Kortison-Präparate sind Medikamente, die die Wirkungen der körpereigenen Hormone Kortisol und seiner Vorstufe Kortison nachahmen. Kortisol und Kortison werden in der Nebenniere gebildet, einer Drüse oberhalb der Nieren, die auch Adrenalin und Sexualhormone produziert.
Der Name Kortison wurde nach deren Entdeckung in den 30er Jahren gewählt, weil diese Hormone der äußeren Schicht (Rinde, lateinisch Cortex) der Nebenniere entstammen. Auch die wissenschaftliche Bezeichnung für die Kortison-Präparate, Glukokortikoide oder Kortikosteroide, leitet sich so ab. Kortisol und Kortison werden natürlicherweise in Stößen rund um die Uhr freigesetzt, besonders in den frühen Morgenstunden. Sie regulieren das Immunsystem als Gegenspieler entzündungsfördernder Botenstoffe, hemmen das Gewebewachstum, stellen »Brennstoffe« wie Traubenzucker, Fettsäuren und Eiweißbausteine bereit und organisieren die vermehrte Speicherung von Wasser und Kochsalz.
Bei körperlichen und psychischen Stresssituationen wird Kortisol als Stresshormon vermehrt gebildet und hilft dem Körper, die Belastung zu bewältigen. 1948 gelang es zum ersten Mal, Kortison in ausreichender Menge künstlich herzustellen. Der therapeutische Einsatz von Kortison in Dosen weit oberhalb der körpereigenen Hormonbildung führte zum »Kortisonwunder«: Patienten mit zuvor nicht behandelbaren chronisch-entzündlichen Erkrankungen zeigten unter Kortison eine dramatische Besserung. Genutzt wurde und wird dabei die starke akut entzündungshemmende und langfristig das Immunsystem dämpfende Wirkung von Kortison und seiner modernen Nachfolge-Präparate. mac

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