Im Osten geht die Sonne auf

Solarenergie bringt dem sachsen-anhaltischen Thalheim viel Arbeit

  • Hendrik Lasch, Thalheim
  • Lesedauer: ca. 3.5 Min.

Schon wird vom »Solar Valley« gesprochen: Thalheim in Sachsen-Anhalt entwickelt sich zum Zentrum der Sonnenenergie in Deutschland. Zutaten des Wirtschaftswunders sind Zufall, emsige Verwaltungen und gute Arbeiter.

Um diesen Satz würde Manfred Kressin von vielen Amtskollegen beneidet: »In unserem Ort gibt es mehr Arbeitsplätze als Einwohner«, sagt der Mittsechziger, seit 1990 Bürgermeister von Thalheim. Das kleine Dorf mit 1600 Einwohnern liegt inmitten platter Felder zwischen der einstigen Chemiestadt Wolfen und der Autobahn A9. Entlang der Dorfstraße, die ebenso wie die Gehwege picobello saniert ist, stehen geduckte Häuser hinter wenig einladend wirkenden Mauern. Es gibt eine Reihenhaussiedlung, eine geschlossene Kneipe, eine Fleischerei - und ein Gewerbegebiet, das brummt. Dafür zuständig sind die Sonne und Männer wie David Hogg.

Australier hätte das Dorf fast verfehlt
Dabei hätten Hogg und Thalheim sich zunächst fast verfehlt: Auf der Straßenkarte, die der australische Forscher und Firmengründer bei seiner Anreise benutzte, gab es zwar ein Talheim bei Chemnitz, aber keines bei Wolfen. Hogg hat seinen Zielort dann doch noch gefunden - und gemeinsam mit Kollegen einen weiteren Beitrag dazu geleistet, dass sich das Dorf im Süden Sachsen-Anhalts mit dem Etikett »Solar Valley« schmücken kann. Zwar gibt es keinen nennenswerten Berg im weiten Umkreis. Dafür aber arbeiten im Gewerbegebiet mehrere Hightech-Unternehmen. Anders als im kalifornischen »Silicon Valley« sind diese nicht im Bereich Mikroelektronik tätig, sondern im Boomsektor Sonnenenergie.
In der von Hogg mitbegründeten Firma CSG Solar AG beginnt die Arbeit erst. Mitte März wurde die flache graue Halle eingeweiht, die im Gewerbegebiet unvermittelt aus schlammigen Äckern wächst. Bis Mitte des Jahres soll der erste Produktionsabschnitt laufen. CSG will dann zunächst Solarzellen mit einer Jahresleistung von zehn Megawatt produzieren und diese Kapazität bis Ende 2006 verdoppeln. Nachdem es noch im Oktober 2004 nur eine Angestellte bei CSG gegeben hatte, sollen es in wenigen Monaten 120 Mitarbeiter sein.
Die Solarzellen, die CSG herstellt, sind eine Art Drei-Liter-Auto der Sonnenenergiebranche. Deren Ausbau steht derzeit ein großes Hemmnis entgegen: Lieferengpässe bei Silizium, weil dessen Hersteller nicht mit der enorm steigenden Nachfrage gerechnet hatten. CSG geht mit dem Material sparsam um: In ihren Zellen verwendet die australische Firma keine Silizium-Wafer, sondern Silangas, aus dem eine zwei Mikrometer dünne Schicht Silizium auf Scheiben gedampft wird. Die Energieausbeute der Zellen ist geringer, dafür sind diese lange haltbar - und deutlich billiger als bei herkömmlichen Verfahren.

Stadt hat binnen zehn Tagen alles erledigt
Nach Thalheim wurde CSG gewissermaßen von einem Leuchtturm gelockt. Dieser residiert in einem mit Holz verkleideten schicken Flachbau, an dessen Stirnseite ein aus Solarzellen geformtes Q prangt. Die Firma Q-Cells hat den Sonnenboom in Thalheim begründet - auch wenn die vier Firmengründer das zunächst gar nicht wollten. »Als Berliner konnte man eigentlich nicht nach Bitterfeld«, gab ein Manager einmal zu Protokoll. Doch weil in Berlin die Genehmigungen auf sich warten ließen, suchte man andere Standorte. Durch Zufall gerieten die Manager auch nach Thalheim. Dort versprach Manfred Kressin, binnen zehn Tagen alle Voraussetzungen für eine Ansiedlung zu schaffen. Danach, sagt der umtriebige Bürgermeister heute, »konnten sie gar nicht mehr anders als zu bleiben«.
Für Q-Cells erwies sich die Ansiedlung in der Rückschau als Glücksfall. Begünstigt vom deutschen Erneuerbare-Energien--Gesetz, das die staatliche Förderung von Investitionen in Technologien zur alternativen Stromgewinnung garantiert, erlebte die 1999 gegründete Firma einen atemberaubenden Aufschwung, der sie zum weltweit drittgrößten Hersteller von Solarzellen wachsen ließ; der Anteil am Weltmarkt liegt bei elf Prozent, der Jahresumsatz beträgt 300 Millionen Euro. Laut erstem Geschäftsplan sollte das Unternehmen dieser Tage erst 40 Mitarbeiter haben, tatsächlich sind es rund 800. Insgesamt beschäftigt die Branche allein in Thalheim 1300 Menschen. In fünf Jahren, sagt Q-Cells-Manager Anton Milner, »werden es locker 5000 sein«.
Thalheim kann sich zugute halten, den rasanten Aufstieg nicht gebremst zu haben. Kressins Verwaltung lockt mit den guten Förderbedingungen in Ostdeutschland und versichert noch immer, binnen kürzester Frist alle bürokratischen Hemmnisse aus dem Weg zu räumen. Zudem gibt es ausreichend Personal, das nicht nur in technischer Hinsicht qualifiziert ist, um die hoch automatisierten Fertigungsstraßen zu bedienen, wo in langen Reihen weißer Schränke zarte Greifer und schmale Fließbänder die zerbrechlichen Scheiben bearbeiten. Die Menschen in der Region, sagt Kressin, hätten zudem seit Generationen im Drei-Schicht-System gearbeitet und in Betrieben wie der Orwo-Filmfabrik komplexe Verfahrensabläufe über-wacht: »Die wissen, wie man arbeitet.«
Das hat sich nicht nur nach Australien herumgesprochen. Einen Steinwurf von CSG entfernt ist ein weiteres Produktionsgebäude fast fertig. Dort wird demnächst die US-amerikanische Firma Ever-Q mit der Herstellung von Solarzellen beginnen. Die Rede ist von bis zu 460 Arbeitsplätzen. Tatsächlich scheint die Sonne also kräftig auf Thalheim. Die neue Straße im Gewerbegebiet wurde entsprechend get...

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