Die Effizienz der Dampfwalze

Neue Fußballbücher von Klitterei und Kunst bis Mathematik und Magie

  • Michael Müller
  • Lesedauer: ca. 3.5 Min.
Jorge Valdano, der heute vor einer Woche in Mexiko einen Hubschrauberabsturz gemeinsam mit sechs weiteren Insassen überlebte und noch einige Tage im Krankenhaus bleiben muss, gehört zu den wenigen hochklassigen Fußballern, die es ins anspruchsvolle Feuilleton geschafft haben. Neben Maradona stürmte er für Argentinien gegen die BRD im WM-Endspiel 1986 und schoss das zweite Tor beim 3:1-Erfolg. Später spielte er bei Real Madrid, war dort auch Trainer und ist noch heute im Vorstand.
Ansonsten aber schreibt er in spanischen und argentinischen Zeitungen Glossen und Essays, porträthafte Skizzen und episodenhafte Miszellen. Thema: Denken und Fühlen in dieser Welt, Gegenstand: Fußball. Eine Auswahl liegt jetzt erstmals in Deutsch vor.
Er gibt keine Prognosen, sondern erwähnt nur als historische Kuriosität dies: »Es ist eine vorhersehbare Nationalmannschaft mit dem Zauber einer Dampfwalze. Wir wissen alle, wie sie spielen wird, aber niemand weiß, wie man gegen sie gewinnen kann.«
Das klingt angesichts der gegenwärtigen Situation noch ganz tröstlich. Effiziente Dampfwalze wäre schließlich immerhin noch besser als Reformbruchlandung.
Jorge Valdano, Über Fußball, bombus-Verlag, München, 2006, 266 S., geb., 16,90 EUR.

Selektierte Geschichte
Ein »Fußballfachbuch der Sonderklasse« verspricht die Verlagsankündigung. Und tatsächlich macht »Die deutsche WM-Geschichte« auf den ersten Blick einen gediegenen Eindruck. Sie ist zwar mit vielen TV-Moderatoren in der Autorenschaft sehr auf Effekthascherei aus, doch gut gedruckt, ordentlich gegliedert, mit kurzweiligem historischen Teil. Auf den zweiten Blick stellt sich jedoch schnell heraus: Thema verfehlt, sechs! Hier wird nämlich nicht »Die deutsche WM-Geschichte« präsentiert, sondern eine säuberlich selektierte. So ist sich der Band einerseits für jedwede DDR-WM-Geschichte zu schade.
Folgerichtig findet man im statistischen Teil , überschrieben mit »Deutsche Endrunden-Aufstellungen«, bei der WM 1974 unter dem Spiel »DDR - BR Deutschland« 1:0 auch nur die Mannschaftsaufstellung der echten Deutschen. Ebenso folgerichtig ist, dass man dafür an anderer Stelle sehr wohl die Aufstellung der Truppe erfährt, die vor dem Anpfiff einst die Arme zum deutschen Gruß erhob.
Heribert Fassbender (Hrg.), Die deutsche WM-Geschichte, Delius Klasing Verlag, Bielefeld, 2006, 320 S., 345 Fotos, geb., 29,90 EUR.

Sieben Gramm Luft
Fußball sei so faszinierend, weil er simpel ist. Diese Feststellung des Autors Ken Bray, Professor für Quantenphysik, klingt ein wenig untertrieben, wenn man seinen Darlegungen aufmerksam folgt. Zwar geht es nicht um höhere Mathematik, doch seine Erklärungen der physikalischen und spieltheoretischen Grundlagen von Erfolg und Misserfolg setzen zumindest eine etwas andere Verständnisgrundlage und Sicht auf die Fußballdinge voraus.
Was der Fan beim Torschuss vielleicht als einen »irren Hammer« wahrnimmt und der Fußballreporter mit dem Beiwort »explosiv« tituliert, ist bei Bray eine herausragende Spitzenrotationsgeschwindigkeit der Beinbewegung gemessen in Radiaten pro Sekunde oder Umdrehungen pro Minute, worin übrigens Gerd Müller bis heute laut Prof. Bray unerreicht bleibt. Dies gelte auch für Roberto Carlos bezüglich der Annäherung seiner Abschussgeschwindigkeit an den (natürlich nie zu erreichenden) Idealfall, der die Fußgeschwindigkeit vermehrt um den Faktor zwei ist.
Ähnlich betrachtet der Autor den Spin (Effetschuss) und die Wahrscheinlichkeit des Abschlusses von Passfolgen bis hin zum statistischen Verhältnis von somatischer und kognitiver Angst vor und nach dem Anpfiff einer Partie. Warum und wie das Spiel überhaupt funktioniert, erfährt man in einem Nebensatz: Ganze sieben Gramm Luft machen den Ball erst zum Ball - und damit den Fußball erst zu dem Fußball.
Ken Bray, Wie man richtig Tore schießt, PendoVerlag, München Zürich, 2006, 254 S., geb., 17.90 EUR.

»Rituelle Jagd«
Drei Tore hintereinander von einem Spieler grenzen schon so ans Mystische, dass daher auch das Wort dafür entlehnt ist. Hattrick ist nämlich zu Deutsch der Huttrick, mit dem der Zauberer auf der Bühne alle in Atem hält. Das deutet darauf hin, dass dort, wo es im Fußball am schönsten ist, auch Magie eine Rolle spielt. Von Zauber ist die Rede, von Traum-Toren, und manchmal wird sogar ein Fußball-Gott an- oder ausgerufen.
Luisa Francia beleuchtet diese soziale Symbiose von Magie und Mann, mit all ihrer Symbolik, ihren Kultorten, ihren Fetischen. Die Autorin dröselt das in 15 Kapiteln auf. Sie beobachtet dabei so viel Irrationales, dass man sich an den Kopf fasst.
Aber sie bietet auch einige nachvollziehbare Erklärungen mit hübschen Autoritätszitaten. Etwa aus »Der nackte Affe« des Anthropologen Desmond Morris: »Fußball ist rituelle Jagd, Zusammenspiel von Beute machenden Herdenmenschen, Fortsetzung stammesgeschichtlicher Riten.« Was übrigens ganz nebenbei auch erklärt, warum Fußball nie so richtig Kult und Ritual der Frauen sein wird.
Luisa Francia, Ballzauber, Nymphenburger Verlag, München,...

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