Gab es 1986 einen Atomunfall in Geesthacht?

Nach Blutkrebshäufung: IPPNW sieht Belege für radioaktive Wolke

  • Heiko Balsmeyer
  • Lesedauer: 2 Min.
Im Zusammenhang mit Blutkrebsfällen bei Kindern in der Elbmarsch wollen atomkritische Wissenschaftler Belege für einen Atomunfall in Geesthacht im Jahr 1986 gefunden haben. Behörden wiesen dies zurück.
Es klingt wie der Plot eines Thrillers, was die Ärzteorganisation gegen Atomkrieg (IPPNW) und die Gesellschaft für Strahlenschutz (GfS) behaupten. Am 12. September 1986 soll über den Atomanlagen in Geesthacht an der Elbe bei einem Unfall eine radioaktive Wolke aufgestiegen sein. Die Freisetzung radioaktiver Substanzen lasse sich anhand von Bodenproben nachweisen. Bundes- und Landesbehörden schweigen und vertuschen, hieß es auf einer Pressekonferenz am Freitag in Berlin. Schon länger ist die stark erhöhte Rate der Erkrankung von Kindern in dieser Gegend an Leu-kämie bekannt. Laut Hayo Dieckmann von IPPNW sind allein in der Gemeinde Tespe innerhalb kurzer Zeit sechs Erkrankungsfälle bei Kindern aufgetreten. Statistisch wäre dagegen nur alle 58 Jahre ein einziger Fall zu erwarten. Nach Ermittlungen von Uwe Harden, Vorsitzender der BI gegen Leu-kämie in der Elbmarsch, gab es in der Region seit 1989 insgesamt 17 Erkrankungen von Kindern an Leukämie. In Geesthacht befinden sich zwei Atomanlagen: Das AKW Krümmel und das Forschungszentrum GKSS, wo auch ein atomarer Forschungsreaktor betrieben wird. Könnten die Leukämiefälle mit den Atomanlagen im Zusammenhang stehen? Mit den unklaren Ergebnissen der Untersuchungen dieser Frage im Auftrag der Landesregierungen von Niedersachsen und Schleswig-Holstein wollten sich IPPNW und GfS nicht zufrieden geben. Im Dezember 2004 ließen sie in der Umgebung der GKSS Bodenproben nehmen. Die Analyse der radioaktiven Inhaltsstoffe nahm die internationale Sacharow-Universität in Minsk vor. Neben angereichertem Uran wurden verhältnismäßig große Mengen verschiedener Thoriumisotope gefunden. Für Inge Schmitz-Feuerhake von der GfS lässt sich aus diesen Ergebnissen einiges zum eingesetzten Brennstoff ablesen. Dieser sollte offenbar Elemente von Kernfusion und -spaltung vereinen und spaltbares Material erbrüten. Vermutlich sei hier mit einem Brennstoff für Forschungsreaktoren experimentiert worden. Aufgrund dieser Erkenntnisse stellt Uwe Harden Fragen an die Bundesregierung: Welcher Unfall hat sich ereignet, der die Kontamination herbeigeführt hat? Welche Experimente sind durchgeführt worden, warum wurde die Bevölkerung nicht gewarnt, warum wird die Kontamination nicht beseitigt? Er hält einen Bundestags-Untersuchungsausschuss für notwendig. Das schleswig-holsteinische Sozialministerium bezeichnete die Vorwürfe hingegen als »abstrus und abwegig«. Eine Sprecherin sagte: »Das Ergebnis aller in der Vergangenheit durchgeführten Untersuchungen ist, dass es bei der GKSS und beim Kernkraftwerk Krümmel im Jahre 1986 weder eine Explosion noch einen Brand gegeben hat, bei denen Radioaktivität freigesetzt worden ist.« Auch die Journalistinnen Barbara Dickmann und Angelica Fell sind dem Fall nachgegangen und haben ihn für das ZDF aufbereitet. An diesem Sonntag läuft dort um 23.30 Uhr ihre Dokumentation mit dem Titel »Tod an der Elbe«.

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