Salzarme Kost lähmt Eismikroben

Jungfernfahrt des Forschungsschiffes »Maria S. Merian« führte in die gefrorene Nord-Ostsee

  • Anja Neutzling
  • Lesedauer: ca. 4.0 Min.
Erste Schriftzeichen füllen jetzt einen bislang weißen Fleck auf der Landkarte der deutschen Meeresforschung. Wissenschaftler des Leibniz-Institutes für Ostseeforschung Rostock-Warnemünde (IOW) brachten vor wenigen Tagen Probenmaterial aus dem nördlichsten Teil der Ostsee mit: Wasser, Eis und Sedimente. Die Proben kamen mit dem nagelneuen Forschungsschiff »Maria S. Merian«. Das Schiff hatte bei seiner Jungfernfahrt den vereisten Bottnischen Meerbusen, der im Westen von Schweden und im Osten von Finnland begrenzt wird besucht. Bis zur Indienststellung der »Maria S. Merian« im Februar in Rostock blieb den Wissenschaftlern der Zugang zu dieser Region im Winter versagt, denn das bisher einzige Eis brechende deutsche Forschungsschiff »Polarstern« ist mit der Forschung in Arktis und Antarktis sowie der Versorgung der antarktischen Landstationen ausgelastet. Dabei sind Erkenntnisse über die winterlichen Bedingungen in dem Brackwassermeer Ostsee unabdingbar, wenn man die Gesamtbilanz von Stoffeinträgen, Mikrobiologie und Biogeochemie dort verstehen will. »Durch Untersuchungen in Arktis und Antarktis wissen wir, dass im Meer-Eis reges Leben herrscht«, erklärt Klaus Jürgens. Der Molekularbiologe am IOW entnahm auf der Tour mit Kollegen vom finnischen Meeresforschungsinstitut in Helsinki an sieben Stationen Eisproben für die genetische Analyse von Bakterien, Viren und kleinsten Algen. »Die Mikroorganismen vermehren sich im Kanalsystem des Eises. Sie haben eine wichtige Starterfunktion für die Frühjahrsblüte und sind somit von Bedeutung für den Nährstoffkreislauf in der Ostsee«, erläutert Jürgens. Erste Untersuchungen noch an Bord ergaben, dass die Bakterien im Ostsee-Eis weit weniger aktiv sind als ihre »Kollegen« in Arktis oder Antarktis. »Dieses Ergebnis überrascht nicht aufgrund des geringen Salzgehaltes in der Ostsee«, sagt der Molekularbiologe, der in den kommenden Monaten den genetischen Fingerabdruck der Mikroorganismen ermitteln will. »Wir haben außerdem sowohl an der Oberfläche des Eises als auch der Schneeschicht darüber eine relativ hohe Nährstoffkonzentration gefunden«, ergänzt Jürgens, »möglicherweise eingetragen aus der Atmosphäre, hervorgerufen durch Luftverschmutzung.« Über erste Messergebnisse aus Bottensee und Bottenwiek verfügt jetzt auch Bernd Schneider. Der IOW-Meereschemiker beschäftigt sich seit 15 Jahren mit dem Kohlendioxidhaushalt in der Ostsee und dem Kohlendioxid-Austausch zwischen Meer und Atmosphäre, die letztendlich Auswirkungen auf das Klima haben. Ein Höhepunkt auf der ersten Forschungsfahrt der »Merian« war das Aussetzen einer Sinkstoff-Falle in der Eisregion. Sie bei minus 15 Grad zu verankern, war eine stundenlange schwierige Aktion. Zunächst wurde ein 350 Kilogramm schweres Eisenbahnrad als Anker versenkt. Trichter und Zylinder mit 20 Probenfläschchen darunter, die sich jeweils nach einer von den Forschern vorgegebenen Zeit schließen, folgten. Zuletzt kam der Auslöse-Mechanismus ins Wasser. »Jetzt heißt es Daumen drücken, dass nichts abreißt und wir im Sommer 2007 die Falle wiederfinden«, sagte Christa Pohl, Meereschemikerin am IOW, nach dem Versenken der Geräteplattform. Die Wissenschaftlerin erwartet von der Sinkstoff-Falle Informationen über an Partikel gebundene Spurenmetalle, die während der Eisschmelze freigelassen werden und durch die Wassersäule zum Meeresgrund sinken. Ihr Kollege Detlef Schulz-Bull will die eingefangenen organischen Spurenstoffe analysieren und ermitteln, inwieweit deren Vorkommen Eingriffen des Menschen geschuldet oder natürlichen Ursprungs sind. Schulz-Bull war Fahrtleiter auf dem Abschnitt durch das Ostsee-Eis. »Unsere ohnehin hochgesteckten Erwartungen an das Schiff wurden noch übertroffen«, war das Fazit des IOW-Forschers. Besonders beeindruckt waren die Warnemünder Wissenschaftler und ihre Partner vom Dynamic-Positioning-System auf der »Merian«. Das Schiff kann auf dem Wasser »parken«, entfernt sich auch bei Windstärke 7 höchstens 50 Zentimeter von der gewünschten Position. Aber auch mit Blick auf die High-techausstattung sowie Kapitän Friedhelm von Staa und seine Mannschaft, die einen reibungslosen Ablauf der Arbeiten der Wissenschaftler ermöglichten, sei die Jungfernforschungsfahrt ein voller Erfolg, lobte der Fahrtleiter. Brüderlich geteilt wurde unter den Biogeochemikern aus Rostock und Stockholm die Sedimentkerne. Sie mussten ihre Arbeit in den Nacht- und frühen Morgenstunden erledigen, denn Vorrang hatten die Wasserproben. Ein aufgewühlter Meeresboden, wie ihn das Ziehen der Sedimentkerne mit sich bringt, hätte die Wasserproben unbrauchbar gemacht. Die schwedischen Wissenschaftler erarbeiten Prognosen für den Kohlenstoff-Kreislauf zwischen Land, Meer und Atmosphäre mit Blick auf die Klimaveränderungen im Zuge des Global Warming. Dabei dient dem Team um Christoph Humborg der nördlichste Zipfel der Ostsee als Beispiel für die Prozesse, die im arktischen Gebiet erwartet werden. »Dauerfrostböden voller Kohlenstoff tauen auf. Das kann einerseits den Treibhauseffekt verstärken. Andererseits nehmen die Pflanzen in dem Tundragebiet Kohlendioxid auf. Tauen Pflanzenreste, die bisher im Frostboden nicht abgebaut werden konnten, durch die höheren Temperaturen auf, werden sie über die Flüsse ins Meer gespült. Uns interessiert das weitere Schicksal dieser Stoffe im Meer und die bei ihrem Abbau erwartete Rückwirkung auf das Klima«, beschreibt Humborg das Szenario. Falk Pollehne, Biogeochemiker am IOW, sieht schon Bestätigungen für die Thesen der schwedischen Meeresforscher: »Bei der ersten Analyse der Oberfläche der Sedimentkerne wurde deutlich, dass durch die Flüsse sehr viel Material eingetragen wird.« Doch den Biogeochemikern geht es wie allen anderen Meeresforschern, die auf der Jungfernfahrt der »Merian« dabei waren: Zahlreiche Lab...

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