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Spätes Recht für Reichsbahner

Transnet-Senioren begrüßen AAÜG-Neuregelung Rente 1 Von Kurt Stenger

  • Lesedauer: 4 Min.

Als das Bundeskabinett den »Entwurf eines 2. Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (AAÜG)« kurz vor Weihnachten absegnete, wurde bei der Eisenbahner-Gewerk schaft Transnet mit Sekt angestoßen. Seniorenvertreter aus dem Osten konnten nach zehn Jahren Kampf um mehr Rentengerechtigkeit einen ersten politischen Erfolg verzeichnen: »Wir haben die Änderung eines wichtigen Gesetzes erwirkt«, hieß‹ es in einer Erklärung von Transnet, Deutscher Postgewerkschaft und DGB.

Worum geht es? Nach der Wende wurde den Reichsbahnern bei der Rentenberechnung lediglich ein Verdienst bis maximal 60.0 Mark anerkannt. Die geringen Anwartschaften wurden formal damit begründet, dass Reichsbahner auf Grund besonderer Versorgungsordnungen nicht der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR) bei deren Gründung im März 1971 beitraten. In zwei Urteilen mahnte das Bundessozialgericht im November 1998 eine Änderung der bundesdeutschen Praxis an, die Rentenversicherungsträger verweigerten indes eine höhere Rentenzahlung - mit Verweis auf eine gesetzliche Neuregelung.

Der nun vorliegende Gesetzentwurf sieht zwei wesentliche Verbesserungen für Beschäftigte der Reichsbahn - wie ähnlich auch der Post - vor. Danach soll der Arbeitsverdienst für die Zeit von März 1971 bis Ende 1973 rentenrechtlich voll anerkannt werden. Für die Zeit von 1974 bis Juni 1990 soll das tatsächliche Bruttogehalt bis zu 1250 Mark monatlich anrechenbar sein - vorausgesetzt, der heutige Rentner war zu diesem Zeitpunkt bereits zehn Jahre bei der Reichsbahn tätig. Dies nimmt Bezug auf die ab 1974 geltende Versorgungsordnung, die Vertrauensschutz für alte Ansprüche nur bei langjähriger Beschäftigungszeit gewährte.

»Es ist uns gelungen, eine Ungerechtigkeit in der Rentenüberleitung zu überwinden«, so Manfred Fischer, Sprecher des Bezirksseniorenrates Nord-Ost von Transnet, auf einer Informationsveranstaltung vor Gewerkschaftern in Berlin. Bis zu 20 000 ehemalige Reichsbahner könnten auf Nachzahlungen hoffen. Dies ist ein Erfolg jahrelangen Kampfes: Bahn- Senioren verschickten hunderte Briefe, Petitionen und Unterschriftenlisten an Bundestagsabgeordnete, bis sich neben der PDS auch die SPD dem Thema anzunehmen begann. Dennoch gingen seit den Sozialgerichtsurteilen gut eineinhalb Jahre ins Land, bis das Hause Riester einen ersten Referentenentwurf zur Änderung des AAÜG vorlegte. Dieser wurde von Sozialverbänden und auch von Transnet als völlig unzureichend kritisiert. Im Juni vergangenen Jahres versprach die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende, Ulla Schmidt, bei einem Treffen mit Gewerkschaftern, sich für Änderungen stark zu machen. Wie der Gesetzentwurf zeigt, fand wenigstens der neuerliche Protest der Reichsbahner Gehör.

Dass die künftige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt trotz Termin-Enge jetzt erneut den Weg zu Transnet fand, war nicht überraschend. Schließlich ging es darum, sich den sicheren Beifall und einen Blumenstrauß der Gewerkschafter abzuholen. Und so ganz nebenbei erläuterte die SPD-Politikerin den Anwesenden mit rhetorischem Geschick, wie gut die geplante Rentenreform aus dem Hause Riester für alle Betroffenen sei. Sie ließ zudem durchblicken, dass das Gesetz zum AAÜG voraussichtlich im Juli in Kraft treten werde. »Für August können Sie schon mal einen Urlaub planen« - finanziert aus Rentennachzahlungen. Ob diese üppig genug ausfallen, um sich auf große Reise begeben zu können, wird aber individuell höchst unterschiedlich sein - von 50 bis 300 Mark Nachzahlung pro Monat war bei der Gewerkschaft die Rede, während Ulla Schmidt maximal 600 Mark erwartet. Sicher ist hingegen, dass die Neuberechnung erhebliche Zeit in Anspruch nehmen wird. Bei Transnet geht man davon aus, dass die zuständige Bahnversicherungsanstalt (BVA) in Cottbus zwei Jahre benötigt, bis der letzte Rentenbescheid neu durchgerechnet ist. Gewerkschafter empfehlen Rentnern, die keine Klage laufen haben, bei der BVA einen Überprüfungsantrag zu stellen, wenn das Gesetzgebungsverfahren dem Ende entgegengeht - »damit keiner vergessen wird«.

Für die Reichsbahner gibt es noch weitere Probleme: Die AAÜG-Neuerungen bergen im Detail Ungereimtheiten, für die Ulla Schmidt »Konkretisierungen« ver sprach. Und die Bemerkung der SPD-Politikerin, in zehn Jahren werden sich die Rentenwerte Ost und West angleichen, rief eher zynische Reaktionen hervor. Schließlich gibt es noch ein völlig ungelöstes spezifisches Reichsbahner-Problem: »Die betriebliche Altersversorgung ist neese«, wie eine Gewerkschafterin auf der Veranstaltung anmahnte. Die Deutsche Bahn AG weigert sich als Rechtsnachfolger beharrlich, Reichsbahn-Betriebsrenten auszuzahlen. In der Bahnreform von 1994 wurde zwar eine spätere Regelung angekündigt - angesichts des Sparkurses im Hause Mehdorn eine leere Versprechung. Besonders befremdlich ist für ehemalige Reichsbahner, dass früheren BRD-Bundesbahnern eine, wenngleich symbolische Betriebsrente gezahlt wird - finanziert aus den Erlösen beim Verkauf der Eisenbahnerwohnungen.

Zunehmend bekommen die Ost-Reichsbahner aber auch die Tücken des gesamtdeutschen Rentenrechts zu spüren. Ältere Beschäftigte werden vor allem in den neuen Bundesländern »hinausgemobbt«, wie Gewerkschafter sagen. Die negativen Auswirkungen einer Frühpensionierung auf die spätere Rente seien weit größer, als gemeinhin angenommen. Für über schäumende Freude und länger anhaltende Sektlaune besteht auch bei den Ex Reichsbahnern also kein Grund.

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