Noteingängelei im Kampf gegen Nazis
Aufkleber versprechen in Berlin rassistisch Verfolgten Schutz und den Grünen Medienpräsenz Von Andreas Fritsche
Was ein Noteingang für rassistisch Verfolgte ist, weiß der Farbige Bedford Kingsley nicht. Glücklicherweise hatte der 28-jährige US-Amerikaner mit nigerianischer Mutter auch noch keine Probleme mit Neonazis, seit er in Berlin für sein Buch über die Mentalität der Deutschen recherchiert. Als Kingsley das orangefarbene Schild am Aufsichtshäuschen auf dem S-Bahnhof Pankow gezeigt bekommt, versteht er, was ein Noteingang verspricht. »Wir bieten Schutz vor rassistischen Übergriffen« steht da geschrieben- in Deutsch, Englisch, Tür kisch und Französisch.
15 000 dieser Aufkleber hat die »Kampagne gegen Rechtsextremismus« seit Start der Aktion am 24. November 2000 in der Bundeshauptstadt verteilt. Bewusstsein gegen fremdenfeindliche Gewalt zu organisieren, aber auch praktische Hilfe zu leisten, ist nach Worten von Katrin Gielow Ziel der Kampagne. Die 24-Jährige ist die Chefin von vier Praktikanten, die in der Kreuzberger Oranienstraße 25 die Or ganisationsarbeit machen - in Räumlichkeiten der Landesgeschäftsstelle der Grünen. Gielow ist Studentin der Sozialwissenschaften und Mitglied der Partei. Damit wird deutlich, wer sich hier medienwirksam an die Spitze der Kampagne gesetzt hat, die Initiativen in vielen anderen deutschen Städten ähnelt. Vernetzt hat man sich zwar mit dem Gesamtverband des Einzelhandels, mit dem Türkischen Bund oder der Vereinigung Türkischer Reiseagenturen. Andere Parteien fragte man jedoch nicht nach Interesse an der Mitarbeit, gibt Gielow zu.
Die SPD bekam allerdings Wind von der Pressekonferenz zum Start der Aktion und schickte einen »Mann aus der dritten Reihe«, wie die Studentin Gielow beklagt. Seitdem bestellten die Sozialdemokraten fleißig Aufkleber, meldeten jedoch nicht, wo diese angebracht werden. Anders sieht es in den. Bezirken aus. In der Pankower Bezirksverordnetenversammlung forderten im Januar Grüne und PDS gemeinsam ihr Bezirksamt auf, in Verwaltungsgebäuden Noteingänge einzurichten. Dem gemeinsamen Antrag wurde mit überwältigender‹ Mehrheit zugestimmt. Die Umsetzung lässt noch auf sich warten.
Einen Schritt weiter ist schon das Bezirksamt von Lichtenberg-Hohenschönhausen. Am 20. Februar klebte Bezirksbürgermeister Wolfram Friedersdorff gemeinsam mit der syrischen Bezirksver ordneten Rim Farha (beide PDS) den ersten Aufkleber ans Lichtenberger Rathaus. Die 253 anderen Einrichtungen des Bezir kes sollen folgen. Am 21. Februar zog Friedersdorffs Amtskollege und Genosse Uwe Klett in Hellersdorf-Marzahn nach. Auch die SPD-geführte Senatsverwaltung für Stadtentwicklung beteiligt sich.
Abgekupfert wurde die Idee mit den Noteingängen von Jugendlichen aus dem brandenburgischen Bernau. Im letzten Jahr erhielten diese für ihre .1998 gestar tete Initiative den Aachener Friedenspreis. Die Aktion sollte vor allem unter Deutschen zu Diskussionen über Fremdenfeindlichkeit führen. Die Bernauer schickten seinerzeit mit den Aufklebern Fragebögen an Geschäfte, Restaurants und Tankstellen. Wer nicht mitmachen wolle, möge zumindest erläutern, warum. Die Angefragten wurden so im positiven Sinne noteingegängelt. In Berlin ging die Kampagne gegen Rechts jedoch nicht direkt an Geschäftsinhaber heran, sondern bat Verbände und Organisationen um Vermittlung. Die Stadt sei für die vier Kampagne-Praktikanten zu groß, rechtfertigt Gielow diese Vorgehensweise.
Der Buchhändler, der Gastronom, der Apotheker soll dem Verfolgten Zuflucht gewähren und die Polizei verständigen. So ist es gedacht. Bisher ist kein einziger im Ernstfall benutzter Noteingang in Berlin bekannt. Dabei mangelt es keineswegs an Ernstfällen. 27 Körperverletzungen mit rechtsextremistischem Hintergrund weist ein Bericht des Verfassungsschutzes von 1999 aus. Vielleicht drängeln sich die Noteingänge auch zu sehr im Stadtzentrum und in eher ungefährlichen Gegenden mit linken Szenekneipen und ausländischen Kulturvereinen. Bezeichnend ist, dass der türkische Bund an seine Mitglieder 2000 Aufkleber verteilte, der Einzelhandelsver band aber weniger.
Genaue Daten, wo sich die Noteingänge konzentrieren, konnte die Kampagne auf Nachfrage nicht geben. Doch Praktikantin Virna Rosenbaum verweist auf Aktionen in Außenbezirken. So habe man einen Infostand in Köpenick organisiert, ganz nahe der Parteizentrale der rechtsextremistischen NPD, die sich in der Seelenbinder Straße eingenistet hat. Dabei gewann Rosenbaum die Erkenntnis, dass das Problembewusstsein hinsichtlich rechtsradikaler Gewalt im Osten »nicht so hoch« sei. Ähnlich sieht es jedoch beim Landesschulamt aus. Dort wollte man einen Bedarf an Informationen über die Kampagne an den Schulen erst erkennen, als der zuständige Senator Klaus Böger (SPD), eine dienstliche Anweisung gab.
Inzwischen wird noteingegängelt, was das Zeug hält. Mehrmals pro Woche gibt es entsprechende Fototermine. Politiker und Manager halten ihre Gesichter lächelnd in die Kameras. Wobei der Vorwurf schnell gemacht ist, hier finde permanenter Wahlkampf oder willkommene Werbemaßnahme statt. Aber ehrliche Sorge um Leben und Gesundheit rassistisch Verfolgter muss in den meisten Fällen zugestanden werden. Diese Sorge hatte jedoch auch ein SPD-Bezirksverordneter in Pankow. Vor Beschlussfassung wollte er abgesichert wissen, dass die als Noteingang gekennzeichnete bezirkliche Einrichtung dann auch wirklich rund um die Uhr besetzt ist. Nazis halten sich bei ihren Übergriffen schließlich nur selten an die Öffnungszeiten von Behörden und schlagen bevorzugt im Schütze der Dunkelheit zu. Fraglich ist zudem, welcher Verfolgte den Noteingang als einen solchen erkennt. Zwar wurde an die 175 000 Türken in Berlin gedacht, eine Übersetzung für die 100 000 russischsprachigen Hauptstädter- wie beim Brandenburger- Noteingang - fehlt aber.
Trotz aller Kritik gibt es auch die kleinen engagierten Läden und Vereine, die sich eher in aller Stille zur Teilnahme entschließen: Der Motoradclub MC Friedrich Angels, die Kita Trollhus, der Frauentreff Brunhilde oder das Cafe Übereck. Wo es zum Dialog im Sinne der Bernauer kam, wurde dieser auch fruchtbar. »Ich denke, hier im Bezirk hat die Aktion über Gespräche viel bewirkt«, versichert die grüne Lokalpolitikerin Julia Eckey aus Prenzlauer Berg, die dabei selbst aktiv wurde. Etwas gegen Rassismus zu tun, sei zwar eine gute Sache, der Aufkleber aber sei ja so groß und was solle man tun, wenn man im Ernstfall allein im Laden sei, beschreibt Eckey Argumente, mit denen ihr Geschäftsinhaber begegnet seien.
Auch an der »Kirche von unten« hängen seit drei Wochen Noteingangs-Schilder. Man werde Verfolgten auf jeden Fall helfen, versprechen die Betreiber. Wie das genau aussehen soll, darüber haben sie noch nicht nachgedacht. Für Nazis, die ihrem Opfer nachstürmen, hat Klubmitglied Jochen aber ein Angebot zur »Resozialisierung«. In seiner Spaßorganisation Anarchistische Pogo-Partei Deutschlands (APPD) müssen NPD-Mitglieder nur den halben Beitrag zahlen, erzählt er grinsend.
Übrigens kann man sich auch selbst zum Noteingang erklären, indem man sich einen entsprechenden Anstecker an die Brust heftet. Der Berliner Grünen-Politiker Ocan Mutlu hält das für sinnvoll. Man erkenne dann z.B. in der S-Bahn, »wir sind mehrere, die helfen könnten«.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.