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Erinnerungen an eine schlimme Zeit

Ehemaliger Zwangsarbeiter Roman Melnyk kam nach Jahrzehnten erstmals wieder nach Berlin Von Peter Kirschey

  • Lesedauer: 3 Min.

Immer wieder muss Roman Melnyk, von Erinnerungen überwältigt, seine Erzählung unterbrechen. Über Jahrzehnte hat er die Zeit zwischen 1940 bis 1945 aus dem Gedächtnis gestrichen. Dann aber hörte der fast 80-jährige Ukrainer mit deutschen Vorfahren, den es nach dem Krieg an den Rhein verschlagen hatte, von den Zwangsarbeiter Verhandlungen. Und von diesem Tage an ließen ihn die Gedanken nicht mehr zur Ruhe kommen, immer neue Details fügten sich in der Rückblende zusammen. Jetzt kam er erstmals wieder an die Spree, um die Stätten seiner Peinigung aufzusuchen. Vor der Presse erzählte er gestern seine Lebensgeschichte.

Melnyk wurde 1940, nachdem seine zu Polen gehörende Heimatgemeinde bei Kraukau von den Nazis okkupiert wurde, als 19-Jähriger nach Deutschland ver schleppt. Er lebte dann in einem Lager für Zwangsarbeiter in Buch und wurde zur Arbeit zum Depot der städtischen Müllabfuhr gebracht. 1942 wurde er, für ihn völlig unerwartet, gefangen genommen und über das Polizeigefängnis am Alexanderplatz in das KZ Sachsenhausen gebracht. Weitere Stationen: Zwangsarbeit für Volkswagen in Wolfsburg, Hafen- und Erdarbeiten in Düsseldorf, KZ-Insel Alderney, KZ Neuengamme und ab 1944 wieder in Berlin bei der Müllabfuhr. Nach dem Kriege wollte Melnyk nicht zurück in seine alte Heimat, heiratete eine Deutsche und zog ins Ruhrgebiet, wo er heute noch lebt.

Als das Thema Zwangsarbeit eine breite breite Öffentlichkeit erreichte, hoffte auch Melnyk, dass sein Schicksal zur Aufhellung des Unrechts an den Zwangsarbeitern beitragen möge. Doch seine zaghaften Anfragen bei der Berliner Senatskanzlei nach Unterlagen und einer Einladung, die Stätten seiner Qualen aufsuchen zu können, wurden in klassisch bürokratischer Manier abgebürstet: »Wenn Sie als Tourist nach Berlin kommen, empfehlen wir Ihnen, sich über die Tourismus Mar keting GmbH ein billiges Hotel vermitteln zu lassen«. Auch die Berliner Stadtreinigung zeigte sich anfangs reserviert, stellte sich dann aber doch ihrer Verantwortung.

Das Prenzlauer Berg Museum und das städtische Archiv von Hürth, dem Heimatort des Rentners nahe Köln, nahmen sich der Geschichte an, und Roman Melnyk konnte auf Einladung des Museums fünf Tage durch die Stadt streifen.

In Buch fand er jenen Platz wieder, wo einst die Zwangsarbeiterbaracken standen. Auch beim Besuch der Gedenkstätte Sachsenhausen und des Depots der Stadtreinigung kamen die Erinnerungen. Nicht wiedergefunden hat er jenen Ort, wo er 1945 Kinder aus brennenden Häusern rettete und- unter Trümmern hervorzog.

Er erinnert sich: Es waren Hitlerjungen mit Maschinenpistolen, die die Zwangsar beiter in die brennenden Häuser trieben, um dort nach Überlebenden der Bombar dements zu suchen. Er erlitt dabei Brandverletzungen und kam in ein Krankenhaus, es könnte das Friedrichshainer gewesen sein. Problematisch ist die Beschaffung der Dokumente, die die Zeit seiner Zwangsarbeit belegen, denn er musste nach Kriegsende gegen Unter schrift alle Papiere abgeben. Nun hofft er, dass bei der BSR noch Listen ehemaliger Zwangsarbeiter existieren oder sein Name in einem Krankenhauspapier jener Jahre auftaucht. Kaum einer der jetzt noch Lebenden, vermutet Melnyk, dürfte in der Lage sein, ohne Hilfe die bürokratischen Hürden für Entschädigungszahlungen zu überwinden.

Mit seinem Besuch in Berlin verbindet der ehemalige Arbeitssklave auch die Hoffnung, dass sich von den damals Geretteten der eine oder andere an ihn erinnern möge und ihm eine Nachricht zukommen lässt.

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